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ARBEITERSTIMME/232: Ich schwanke zwischen Enttäuschung und Zorn über die Arbeitgeber


Arbeiterstimme, Frühjahr 2011, Nr. 171
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Ich schwanke zwischen Enttäuschung und Zorn über die Arbeitgeber

Von Berthold Huber


Am 9. Februar scheiterten die Verhandlungen zur Neuregelung der Hartz-TV-Leistungen zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien. Die Linke war allerdings an diesen Verhandlungen nicht beteiligt. Sie war nicht eingeladen, weil von der strikten Anti-Hartz-Partei sowieso nicht erwartet wurde, dass sie einem, wie auch immer gearteten, Kompromiss zustimmen würde. Zumindest das ehrt sie. Zu einer Neuregelung ist die Bundesregierung gezwungen, weil das Bundesverfassungsgericht genau vor einem Jahr Teile des 2005 eingeführten Arbeitslosengeldes II für grundgesetzwidrig erklärt hat. Das Arbeitsministerium brachte deshalb einen Gesetzentwurf ein, der eine Erhöhung des Hartz-IV Regelsatzes um lächerliche 5.- Euro vorsieht, sowie weitere Maßnahmen zu Gunsten der Kinder von Hartz-TV-Empfängern, die aber letztlich nichts anderes als ideologische Verschleierungsmaßnahmen gegenüber der restlichen Bevölkerung sind. Ein grundlegender Beitrag zur Verbesserung der Situation dieser Menschen werden diese Maßnahmen nicht sein.

Klar war, dass dieses Thema ein gefundenes Fressen für die Opposition war und ist, besonders natürlich für die SPD. Seit sich diese nämlich nachhaltig im Umfragekeller der Wählergunst befindet, versucht sie gerade zwanghaft, sich mit sozialen Themen zu profilieren. Bei den Verhandlungen griff sie deshalb auch die Forderung der Gewerkschaften nach Einführung eines Mindestlohnes auf. Geradezu dümmlich ist dabei allerdings ihre offensichtliche Hoffnung, dass die Menschen vergessen haben, dass unter der Schröderregierung gerade diesem Sektor die uneingeschränkte Expansion gestattet wurde. Aber immerhin, bei den Verhandlungen bewegte sich das Regierungslager ein wenig. So soll der Mindestlohn auf die Zeitarbeits- und Sicherheitsbranche ausgeweitet werden. Auch ein gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Equal-Pay genannt, scheint zu kommen.

Bereits im vergangenen Jahr hat die IG Metall in den Tarifverträgen der Stahlindustrie die gleiche Bezahlung für Leiharbeiter erfolgreich durchgesetzt. Geschuldet war das aber alleine der besonderen Struktur der Stahlindustrie, mit dem erweiterten Einfluss, den die Gewerkschaft dort hat. Eine vergleichbare Regelung in der Metall und Elektroindustrie, sowie den anderen Branchen im Organisationsbereich der IG Metall, wird kaum durchzusetzen sein. Dazu fehlt schlichtweg die gewerkschaftliche Kraft. Leiharbeiter sind nämlich kaum organisiert. Bei den anderen Gewerkschaften sieht es ebenfalls nicht besser aus. Das Interesse ist deshalb bei den Gewerkschaften groß, dass sich an diesen Zuständen etwas ändert, denn die Leiharbeiter konkurrieren mit ihren Billiglöhnen in den Betrieben mit den deutlich höheren Tariflöhnen. Nicht zuletzt deshalb setzen die Gewerkschaften auf die traditionelle Arbeitsteilung mit der SPD. Vergessen sind offensichtlich die Zeiten, in denen sie von dieser Partei systematisch ausgebootet wurden.

Dass aber tatsächlich das gleiche Geld für gleiche Arbeit in der Arbeitswelt hierzulande Realität wird, ist kaum zu erwarten. Das gilt selbst für den Fall, dass die Merkelregierung ihre Absichtserklärung in Gesetzesform gießt. Es deutet sich schon jetzt das Schlupfloch für die Unternehmer an, das sie benutzen werden, um ein mögliches Gesetz zu umgehen. Die FDP will nämlich dieser Regelung nur zustimmen, wenn der gleiche Lohn erst nach neun und nicht schon nach drei Monaten bezahlt wird, wie das SPD und Grüne verlangen. Das freut die Herren Kannegießer und Hundt. Sie stimmen, wenn überhaupt, einer solchen Einschränkung sofort zu. Gesamtmetall-Präsident Kannegießer hat sich im Neujahrspressegespräch seines Verbandes Ende Januar entsprechend positioniert. Zeitarbeit sei "aus der modernen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken", stellte er fest und wies die Forderung der IG Metall nach Gleichstellung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten energisch zurück. Auch müsse, so Kannegießer, ein deutlicher Lohnunterschied bestehen, sonst wären massiv Arbeitsplätze bedroht. "Eine Verdrängung regulärer Arbeitsplätze findet nicht statt" behauptete Kannegießer und versucht damit den Vorwurf der IG Metall zu entkräften. Kannegießer steht mit seiner Auffassung zu Zeitarbeit und Mindestlöhnen natürlich nicht alleine. Sein Klassen-Kamerad Hundt stößt ins gleiche Horn. Der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) wendet sich entschieden gegen die Pläne von Regierung und Opposition. Auch er sieht keine Notwendigkeit, der fast einen Million Leiharbeitern den gleichen Lohn zu zahlen wie den Stammbelegschaften. Dabei macht er den Herrschaften in Berlin unverblümt klar, wie das Kapital ein solches Gesetz austricksen wird. "Die großen Unternehmen werden Wege finden, um durch Auswechseln der Zeitarbeitnehmer mit dem Problem fertig zu werden", so Hundt.

Das ist eine klare unmissverständliche Ansage der Kapitalisten, orientiert an ihrer Interessenslage, Maximalprofite zu erwirtschaften. Aber wen kann das eigentlich verwundern? Schließlich ist und war das schon immer ihre Politik. Hand in Hand mit ihren jeweiligen Bundesregierungen, haben sie dafür gesorgt, dass Deutschland zu dem jetzigen Erfolgsmodell wurde. Die Umverteilung von Unten nach Oben ist seit langem Programm. Durch Dumpinglöhne, Senkung der Lohnnebenkosten und Unternehmenssteuer-Senkungen ist es ihnen gelungen, Exportweltmeister zu werden. Heute sind die deutschen Kapitalisten die dominierende Wirtschaftskraft in der EU und dadurch in der Lage, den EU-Ländern ihren Willen aufzudrängen. Es kann deshalb niemanden verwundern, wenn sie an dem Zustand nichts verändern wollen. So müsste es eigentlich sein. So ist es aber nicht. Die Gewerkschaften, allen voran Berthold Huber, reiben sich erstaunt die Augen über des Verhaltens der Kapitalisten. So verlautet Huber gegenüber der Süddeutschen Zeitung: "Ich schwanke zwischen Wut und Enttäuschung." Die SZ weiter: "Die Arbeitgeber wollten Leiharbeiter, um Flexibilität zu bekommen, etwa wenn es kurzfristig mehr Aufträge gibt". Diese seien ihnen zugestanden worden. Nun stelle sich heraus, dass sie einfach die Löhne senken und ihre Profite erhöhen wollen. "Das ist eine Täuschung der Menschen und der Politik." ... einfach die Löhne senken und die Profite erhöhen, welch unmoralische Handlungsweise!

Es ist kaum vorstellbar, dass Huber an das, was er da sagt, selbst glaubt. Es scheint eher so zu sein, dass Huber Opfer seiner Illusionen geworden ist und jetzt einen auf Moral macht. Das kommt in seiner Feststellung zu Hundts Aussagen bezüglich des Equal-Pay zum Ausdruck. Er wirft Hundt vor, "den Konsens, den wir in den vergangenen Jahren hatten" (SZ), aufzukündigen. Über lange Zeit erhielt Huber viel Lob aus dem Unternehmerlager und ihren Medien. Als Reformer und besonnener Gewerkschafter wurde er hofiert. In einem Portrait in der Stuttgarter Zeitung vom Dezember 2009 ist zu lesen: "Mit einigen Entscheidern der Wirtschaft kann Huber besonders gut, vor allem mit Siemens-Chef Peter Löscher. Beide haben eine ähnliche Werteorientierung. Siemens ist ein Paradebeispiel dafür, wie eine Gewerkschaft mit pragmatischem Handeln maximalen Einfluss erlangt. Als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender hat Huber an vorderster Stelle daran mitgewirkt, die Zerschlagung des Technologiekonzerns zu verhindern. Für den Wandel benötigte Huber Verbündete, er fand sie in Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann". Da war dann ja das richtige Gespann beisammen! Wem so vom Klassengegner geschmeichelt wird, der glaubt dann irgendwann selbst, dass der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeiterschaft in die Mottenkiste des Klassenkampfes gehört. Der ist dann zutiefst enttäuscht, wenn ein Hundt, mit dem er lange als Bezirksleiter in Stuttgart zu tun hatte, eine solche "Verschlagenheit" zeigt. Die Enttäuschung muss für ihn sehr tief sein, weil er feststellt, dass er heute mit seinen "Appellen an die Vernunft" an die Wand läuft. Als man während der Krise auf Seiten des Kapitals und der Bundesregierung nicht wusste, wie deren Verlauf aussieht, hat man, weil man ihn brauchte, auf ihn gehört, z.B. beim Thema Abwrackprämie und der Verlängerung der Kurzarbeit. Da konnte er seinen Traum von der Rückkehr zum rheinischen Kapitalismus ungestört träumen. Heute muss er feststellen, dass das Kapitallager im Traum nicht daran denkt, die zu seinen Gunsten veränderte Arbeitswelt zurückzudrehen. Und das wird die Gewerkschaftsbewegung in absehbarer Zeit deutlich schwächen.

Nach einer aktuellen Betriebsrätebefragung im Orgbereich der IG Metall sind 85 Prozent der in den Medien bejubelten Neueinstellungen prekäre Arbeitsverhältnisse. Der Löwenanteil fällt dabei auf den Bereich der Leiharbeit. Inzwischen gibt es in den Betrieben fast eine Million Leiharbeiter, mit steigender Tendenz. Für eine Gewerkschaft kann das eine gefährliche Entwicklung sein, wenn es ihr nicht gelingt, diese Kolleginnen und Kollegen zu organisieren. Im Falle eines Arbeitskampfes sind solche Beschäftigten geradezu prädestiniert für den Einsatz als Streikbrecher. Das weiß man natürlich in den Gewerkschaften, weshalb mit großem Personal- und Geldeinsatz in Organisierungskampagnen versucht wird, diesen Schwachpunkt zu beseitigen. Leider ist es bis jetzt nicht in nennenswertem Umfang gelungen, dieses Kollegenpotential für die Gewerkschaften zu gewinnen. Bliebe im Bereich der IG Metall noch die Tarifpolitik. Huber hat ja bereits angekündigt, in der Metall und Elektroindustrie analog zur Stahlindustrie die Angleichung der Leiharbeiterlöhne an die Tariflöhne zu fordern. Abgesehen davon, dass die nächste Tarifrunde in der M+E-Industrie erst im März 2011 ansteht, steht die Frage, ob eine solche Forderung überhaupt durchsetzbar ist. Im Konfliktfall müsste sie nämlich von der Stammbelegschaft stellvertretend für die Leiharbeiter im Streik durchgesetzt werden. Im Moment ist das nur schwer vorstellbar. Berthold Huber beklagt das Verhalten der Unternehmer als "schlicht unfair". Deshalb hat es am 24. Februar einen Aktionstag in den Betrieben gegeben. Ziel der Aktion war nicht nur, Druck zu machen, um zu betrieblichen Vereinbarungen zur gleichen Bezahlung von Leiharbeitern zu kommen, sondern auch, die Bundesregierung zu einer grundlegenden Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu bewegen. Es ist nicht anzunehmen, dass die Kapitalisten und die Bundesregierung tief beeindruckt waren von der Aktion, obwohl mehr als 200.000 KollegInnen daran teilnahmen. Sie war eher symbolischer Natur, im Grunde eine Pflichtübung, die wenig politischen Druck hervorbrachte. Politischer Druck wäre aber die Voraussetzung, wenn man in der Frage der Leiharbeit weiterkommen will. Aktuell stellt man aber nur fest, dass darüber gejammert wird, wie "unfair" man behandelt wird. Wirkliche Bewegung wird, nicht nur in der Frage der Leiharbeit, erst dann entstehen, wenn die Gewerkschaften mit dieser elenden Sozialpartnerschaft brechen, wenn sie das wirkliche Gesicht des Kapitalismus nicht länger verschleiern und zu kämpfen beginnen. Nach den jetzt gemachten Erfahrungen müsste Huber in seiner Verantwortung als Vorsitzender diesen Kurs eigentlich forcieren. Würde das geschehen, wäre es allerdings aus mit dem Hofieren des besonnen Reformers Huber durch Kapital und Medien.

Leider gibt es in den Gewerkschaftsvorständen nicht wenige erfahrungsresistente Funktionäre. Und es scheint vieles dafür zu sprechen, dass der Kollege Huber zu dieser Fraktion gehört.


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 171, Frühjahr 2011, S. 8-9
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2011