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ANALYSE & KRITIK/498: Italien - Keine linken Antworten


ak - analyse & kritik - Nr. 576 - 19.10.2012
zeitung für linke Debatte und Praxis

Keine linken Antworten
In Italien kommt die Linke gegen die Austeritätspolitik schwer in die Offensive

Interview von Ingo Stützle



Seit Ende des Jahres 2011 regiert in Italien eine von Mario Monti geführte Technokratenregierung aus sogenannten ExpertInnen. In den ersten Monaten von Montis Amtszeit wurden 393 Maßnahmen auf den Weg gebracht. Unter anderem die Anhebung des Renteneintrittsalters, Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst bis zu 20 Prozent, Verkauf von Staatseigentum und Ausgabenkürzungen. Von der Linken ist bisher wenig zu hören. Warum dem so ist, welche Rolle die Gewerkschaften spielen und über die Erfahrungen der Linken seit Genua 2001 sprach ak mit Luca Scafoglio.


ak: Was hat sich mit dem Abgang von Berlusconi und dem Antritt der Montiregierung verändert für die radikale Linke verändert?

Luca Scafoglio: Der Regierungswechsel hat die Lage der radikalen Linken nicht verbessert. Berlusconis Abgang wurde nicht wie etwa 1994 durch eine Massenbewegung provoziert, sondern von Präsident Napolitano initiiert - unter dem Druck der nationalen und europäischen ökonomischen Elite und monatelangen Presseskandalen. Die neue Technokratieregierung, formal durch eine parlamentarische Mehrheit gestützt, hat bereits ein Programm zur Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen beschlossen, ohne wirkliche Antworten von links oder nennenswerte gesellschaftliche Reaktion hervorzurufen.

ak: Gibt es derzeit keine betrieblichen Konflikte?

Luca Scafoglio: Doch, etwa bei Alcoa, Sulcis oder Ilva. Aber sie finden keinen allgemeinen politischen Ausdruck. Dafür tragen einerseits der Gewerkschaftsverbund CGIL und selbst die Metallgewerkschaft FIOM die große Verantwortung, da sie eine rein symbolische Opposition praktizieren. Andererseits ist die radikale Linke zu schwach, um die Perspektive zu öffnen. Zudem haben die Erfahrungen mit der Prodiregierung von 2006 bis 2008 viel Enttäuschung hinterlassen.

ak: Genua 2001 ist jetzt über 10 Jahre her. Das Ereignis und das, was danach passierte trieb eine ganze Generation von linken AktivistInnen in die Apathie, ins Privatleben und den Zynismus. Welche Rolle spielten die Jahre nach 2001 für die Linke? Gibt es inzwischen eine jüngere Generation, für die die Ereignisse nicht mehr so prägend sind?

Luca Scafoglio: Genua 2001 war der Höhepunkt einer politischen Mobilisierung, in der sich der Kreis des linken Aktivismus erweitert hatte. Danach änderte sich viel. Die Entwicklungen waren aber nicht eindeutig. Einerseits gelang der Versuch nur beschränkt, die sogenannte No-Global-Bewegung in ortsgebundenen Initiativen zu übersetzen, etwa in lokale Sozialforen. Andererseits gab es aber auch Ausnahmen. Viele engagierten sich viele weiter, aber innerhalb kleinerer Kreise und einzelner Strukturen und Organisationen.

In diesem Sinne hat Genua keine anhaltende, gemeinsame Identität gestiftet. Viele zogen sich danach auch ins Private zurück. Der Anschlag auf die Twin Towers verschob den Rahmen. Gegen die Kriege gegen Afghanistan und Irak gab es wieder größere Demos. Und an der Abschlussdemonstration zum Europäischen Sozialforum in Florenz 2002 nahmen etwa eine halbe Million Menschen teil. Damals spiele aber auch die CGIL eine große Rolle.

ak: An was mangelte es nach Genua?

Luca Scafoglio: Meiner Meinung nach fehlte es an einer kollektiven Reflexion der Ereignisse in Genua; über offene Frage, Probleme und Schwachpunkte der Bewegung wurde nicht diskutiert. Schon bald darauf bereitete sich die institutionelle Linke darauf vor, vor allem Rifondazione Comnunista, die durch die Seattlebewegung mobilisierten Energien in Wahlen zu kanalisieren und an der Prodiregierung 2006 teilzunehmen.

Schon mit Onda, der Studentenbewegung von 2008, konnte man eine neue, politisch engagierte Jugend sehen. Im Oktober 2011 gingen Studierende, junge Arbeitslose und Prekäre gemeinsam auf die Straße. Und natürlich gibt es die Proteste gegen die Hochgeschwindigkeitsbahn TAV im Val di Susa. Es ist wahrscheinlich noch zu früh zu sagen, ob es wirklich eine neue Generation ist.

ak: Wie gefährlich ist der Rechtspopulismus in Italien? Ist er ein Grund, warum sich keine linke Perspektive entwickeln kann?

Luca Scafoglio: Die rechtspopulistische Szene in Italien ist ziemlich gespalten. Wichtig ist, dass einige an der letzten Berlusconiregierung teilnahmen. Da die Regierung und die staatlichen Institutionen als Ursache oder zumindest als verschärfendes Element der Krise wahrgenommen werden, ist die Zustimmung für diese Teile der Rechtspopulisten zurückgegangen. Das gilt sowohl für den populistischen Flügel in der Popolo della libertà (Volk der Freiheit) als auch für die Lega Nord. Letztere ist von der Krise der Berlusconipartei sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, sie versucht aber, sich wieder als Antisystempartei zu etablieren.

ak: Ist die populistische Rechte keine große Gefahr?

Luca Scafoglio: Weil der traditionelle Rechtspopulismus noch mit den eigenen Schwierigkeiten kämpft, ist er im Moment für die Entwicklung einer linken Perspektive keine große Gefahr. Das sieht bei der Grillobewegung schon anders aus. Es ist noch schwierig zu sagen, in welchem Maße sie allgemeine gesellschaftliche Tendenzen zum Ausdruck bringt.

Jedenfalls ist es dem Komiker Beppe Grillo gelungen, seine Bewegung als eine systemkritische Kraft zu profilieren, die bestimmte Themen in der politischen Debatte besetzen kann - den Kampf gegen die Kaste der Politiker, gegen die EU, den Euro und die Banken. Er hat sich aber auch rassistisch gegen Roma und MigrantInnen ausgesprochen. Andererseits hat Grillo sich stark gegen TAV engagiert. Und auf diese Weise könnte er eine gewisse Hegemonie über die Proteste ausüben. Er beeinflusst sie derart, dass die strukturellen Ursachen der Krise nicht diskutiert werden und sozialen Problemen nicht mit linken Antworten begegnet wird.

ak: Was machen die Gewerkschaften? Sie müssten doch eigentlich auf die Barrikaden gehen.

Luca Scafoglio: Leider passiert genau das Gegenteil. Gegen Sparmaßnahmen und die Lockerung des Arbeitsrechts hat die CGIL keine Initiative gestartet. Zwar redet die Generalsekretärin Susanna Camusso immer mal wieder von einem Generalstreik, erklärt wird er aber keineswegs. Die Vereinbarung von Ende Juni 2012 zwischen Unternehmerverbänden und Regierung zur Reform des Arbeitsrechts unterschrieb der Gewerkschaftsverband. Ein zentraler Punkt war hier die Lockerung des Schutzes der Lohnabhängigen im Falle unrechtmäßiger Kündigungen.Und schon unter Berlusconi, als Sergio Marchionne, der Geschäftsführer von der Fiatgruppe, eine aggressive Industriepolitik in Gang setzte, die zur Abschaffung wichtiger Arbeiterrechte führte, gab es vonseiten der stärksten Gewerkschaft im Land keinen Widerstand. Die Verantwortung der CGIL ist enorm.

ak: Warum ist das so?

Luca Scafoglio: Die CGIL ist eng mit der Demokratischen Partei verwoben, die die neoliberalen Maßnahmen unterstützt. Selbst bei der Metallgewerkschaft FIOM ist die Stimmung schlechter geworden: Nach Monaten, in denen sie gegen die Fiatgeschäftsleitung Widerstand leistete und es so schien, dass die Gewerkschaft eine politisch-gesamtgesellschaftliche Rolle für die Linke spielen könnte, hat die Gewerkschaft der Metallarbeiter, die zur CGIL gehört, eingelenkt. Und es ist kein Zufall, dass gerade in diesen Tagen der Repräsentant des linken Flügels innerhalb der FIOM aus dem Generalsekretariat entfernt wird.

ak: Was erwartest du dir von dem Treffen Anfang November in Florenz? (1) Könnten hier die lokalen Bewegungen und Proteste zusammenfinden und gemeinsam etwas entwickeln?

Luca Scafoglio: Ich habe den Eindruck, dass auf lokaler Ebene im Moment darüber kaum debattiert wird. Es gilt noch nicht als ein Treffen, von dem Initiativen ausgehen werden um weitere Kreise von Leuten zu politischem Engagement zu motivieren. Große Teile des linken Aktivismus sind auch nicht dabei. Selbstverständlich eröffnen derartige Treffen immer eine Chance, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Inhalte und politische Antworten auf europäischer Ebene zu erarbeiten. Aber nur wenn sie sich dem Ausmaß der Krise und den materiellen Veränderungen stellen. Es müsste das kritische Potenzial zur Kenntnis genommen und diskutiert werden, das in den Widerstandsbewegungen in jenen Ländern zum Ausdruck kommt, die durch die Krise am stärksten betroffenen sind. Wenn ich sehe, dass etwa die CGIL zu den Hauptteilnehmern in Florenz gehört, wenn ich lese, dass immer noch die Tobin Tax gefordert wird, dann zweifle ich daran, dass das passiert. Aber kleinere Basisgewerkschaften und ein Netz von linken Gruppen haben zu einer Demonstration am 27. Oktober 2012 in Rom aufgerufen - dem NO-Monti-Day. Vielleicht ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung - hoffe ich jedenfalls.


Anmerkung:
(1) www.firenze1010.eu

Luca Scafoglio war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Univesität von Salerno und promoviert in Philosophie. Er ist seit Jahren in Initiativen gegen Sozialabbau, Universitätsreformen und Privatisierung aktiv.

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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 576, 19.10.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2012