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ANALYSE & KRITIK/448: So süß wie Maschinenöl - "Frühschicht" von Jan Ole Arps, eine Annäherung


ak - analyse & kritik - Nr. 560 - 15.4.2011
zeitung für linke Debatte und Praxis

So süß wie Maschinenöl
"Frühschicht" von Jan Ole Arps - eine Annäherung

Von Christian Frings


"Ich wusste nicht, was auf mich zukam. Aber ohne die Arbeiterklasse hatten wir keine Chance, die Welt zu verändern, so viel war klar." In den Ohren jüngerer Linker klingt dieser Satz befremdlich. Doch in den 1970er Jahren war dies für die Linke in der BRD keineswegs so. Tausende gingen in die Fabrik. Auf eine Spurensuche begab sich ak-Redakteur Jan Ole Arps. Sein Buch "Frühschicht" ist ein Beitrag zur Diskussion über linke Perspektiven gegen Arbeit und Ausbeutung.


Zwischen September 2008 und März 2009 war die Linke wie elektrisiert. Die großen Fragen nach dem Kapitalismus, seiner Zukunft und seinem Ende wurden wieder gestellt. Welche sozialen Kämpfe könnten im Rahmen eines zusammenbrechenden Weltfinanzsystem entstehen, wie könnten wir deren revolutionäre Sprengkraft befördern?

Für einen kurzen Augenblick war eine neue Ernsthaftigkeit in diesen Fragen zu spüren. Als die Börsen wieder florierten und deutsches Krisenmanagement mithilfe von Abwrackprämie, Kurzarbeit und gewerkschaftlicher Stillhaltepolitik den "Aufschwung" brachte, begab sich die Linke zurück in ihre Milieus - nur subkutan blieb ein wenig von dem Gefühl, der kommende Aufstand könne doch möglich sein.

Die größte Enttäuschung bestand darin, dass es weder in den Betrieben noch unter den Arbeitslosen zu nennenswerten Protesten kam. Daran zeigte sich zugleich die enorme Distanz, die zwischen linken Milieus und der Ausbeutungssphäre existiert. Selten war die Getrenntheit linker Kräfte von diesen "verborgenen Stätten" größer als heute.

Als die Revolte von 1968 ihren Höhepunkt überschritten hatte, stand sie vor dem gleichen Problem und suchte nach Antworten. In seinem Buch über "Linke Fabrikinterventionen in den 70er Jahren" spürt Jan Ole Arps diesen Antworten und ihren Mängeln nach. Er macht damit eine historische Erfahrung für eine jüngere, seine Generation diskutierbar, die davon höchstens als skurrile Randerscheinung der Studentenbewegung gehört hat.

Wahrscheinlich konnte ein solches Buch nur aus dieser Distanz heraus geschrieben werden. Während viele der damals Beteiligten ihre Erfahrungen als Zeit der Verblendung verdrängt haben, nimmt der Autor die damaligen Überlegungen ernst und stellt sie gut lesbar und anschaulich an zwei Strömungen exemplarisch dar: den leninistisch-maoistischen K-Gruppen und "operaistischen" Gruppen wie dem Frankfurter Revolutionären Kampf (RK) oder der Arbeitersache München - ein Kontrast, der trotz völlig verschiedener politischer Ansätze auf fatale Ähnlichkeiten hinweist.

In sechs Kapiteln werden Vorgeschichte, Organisationsbildungen, Fabrikerfahrungen und der Weg aus der Fabrik geschildert, um abschließend zu betrachten, wie einige trotzdem im Betrieb geblieben sind und dort weiter versucht haben, sich einzumischen. Im Wesentlichen stützt sich das Buch auf die damaligen Papiere und einige spätere Verarbeitungen, ergänzt um Auszüge aus sieben Interviews mit Beteiligten.

Leider bleibt die Hauptquelle bereits bekanntes Material. Auf problematische Zeitzeugen wie Gerd Koenen oder Richard David Precht wird zurückgegriffen, ohne deren ideologisch gefilterte Art der Aufarbeitung zu hinterfragen. Gerade zur Vorgeschichte und warum der Weg in die Fabrik vor dem Hintergrund eines lebendigen revolutionären Optimismus nur "folgerichtig" war, hätten die Interviews mehr beitragen können. So bleiben eine Reihe von Widersprüchen und Fragen offen, die nicht - wie an manchen Stellen im Buch - vorschnell beantwortet werden sollten.

So hätte ein wenig historische Einordnung den vermeintlichen Widerspruch zwischen "bizarrem Manöver" und "Folgerichtigkeit" des Schritts in die Fabrik anders erscheinen lassen. In vergleichbaren Situationen war es schon immer der natürliche Reflex jugendlicher Rebellen, "in die Gesellschaft" zu gehen und den Quellen der allgemeinen Unruhe nachzuspüren.

Die russischen Sozialrevolutionäre zogen im 19. Jahrhundert aufs Land, Mitte der 1980er Jahre gingen tausende südkoreanische StudentInnen "undercover" in die Fabriken, heute tun es chinesische AktivistInnen. In Ägypten trugen die Mittelstandskids der Bewegung 6. April zum Sturz des Regimes bei, indem sie schon 2008 Streiks unterstützten und für die Demo am 25. Januar 2011 in proletarischen Stadtvierteln mobilisierten.

"Skurril" ist nicht der Weg in die Gesellschaft, sehr wohl aber bestimmte Formen. Dies wäre dann ein anderer Maßstab der Kritik als das heutige linke Milieu, das manchmal zwischen den Zeilen hervorlugt. Und er würde wieder ins Bewusstsein holen, dass der pragmatische Bezug auf gewerkschaftliches "Organizing", wie er heute unter Linksradikalen salonfähig ist, eine armselige Antwort auf das Problem der Getrenntheit von der Klassenrealität darstellt.

Zweitens bleibt der Text aber den linken AktivistInnen gegenüber zu unkritisch, weil er ihre Sichtweise als Aufklärer der Massen ungewollt übernimmt. Auf Klassenseite kommen Eigen-Sinn und Autonomie trotz einiger Erwähnungen der breiten betrieblichen Konfliktualität kaum vor.

Manuela Bojadzijev hat in "Die windige Internationale" (2008) den Avantgardismus der linken Gruppen wirksamer hinterfragt und kritisiert, indem sie die Selbstständigkeit und Selbstorganisation von ArbeiterInnen aufdeckt, an denen sich das linke Aufklärungsgehabe bricht. Eine griechische Arbeiterin von Pierburg-Neuss würde die Geschichte der linken Fabrikintervention vielleicht ganz anders schreiben - und der abstrakte Gegensatz von aktiven "Revolutionären" und passiver "Klasse", und diese Begriffsklötze selbst, könnten ins Schwimmen geraten.

Dass der Blick auf das Geschehen an den "verborgenen Stätten der Produktion" so oberflächlich bleibt, schlägt sich im Buch auch in den postfordistischen Gewissheiten nieder, die dem Autor allzu glatt aus der Feder fließen. Selbst in der bürgerlichen Forschung kommen heute Zweifel auf, ob es mit dem "neuen Gesicht des Kapitalismus" so weit her ist oder mit der Prekarisierung nicht auch die tayloristische Despotie des Kapitals fröhliche Urstände feiert. Das sind offene Fragen. Auch sie zeigen, dass wir wieder vor dem Problem stehen, theoretisch und praktisch die Getrenntheit von gesellschaftlichen Realitäten überwinden zu müssen, die wir über den Haufen werfen wollen. Zu dieser Diskussion kann das Buch einiges beitragen.


Jan Ole Arps: Frühschicht. Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren.
Assoziation A, Berlin 2011. 240 Seiten, 16 EUR.


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 560, 15.04.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2011