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JUSTIZ/187: Dublin - und sie halten zusammen ... (SB)


Irland - und sie halten zusammen ...


Seit in Irland nach dem Abschluß des Karfreitagsabkommens 1998 die Unterbindung paramilitärischer Aktivitäten der IRA nicht länger das sicherheitspolitische Thema Nummer eins ist, sieht sich das Land mit dem Problem überbordender polizeilicher Korruption konfrontiert. Seit mehr als 20 Jahren folgt ein Polizeiskandal dem anderen. Parlamentarische und juristische Untersuchungskommissionen werden eingerichtet. Unheilvolles wird zutage gefördert. Einige wenige Verantwortliche müssen irgendwann ihren Hut nehmen. Doch am Ende bleibt alles beim alten. Die Skandale reißen nicht ab, und die Übeltäter kommen mit ihren Vertuschungsaktionen meistens durch. Somit bleibt das Grundproblem der polizeilichen Korruption virulent, die in Irland wie anderswo nicht zuletzt aufgrund des enorm profitablen Geschäfts mit illegalen Rauschmitteln floriert.

Aktueller Anlaß zu dieser traurigen Feststellung ist die jüngste Entwicklung im Entführungsfall Kevin Lunny. Lunny ist ein hochbezahlter Manager des Konzerns Quinn Industrial Holdings. Im vergangenen Herbst wurde der 50jährige Geschäftsmann abends auf dem Heimweg in der Grafschaft Cavan, die an Nordirland angrenzt, von vier Männern entführt, über mehrere Stunden schwer mißhandelt und spät nachts mit einem gebrochenen Bein auf einer verlassenen und unbeleuchteten Landstraße ausgesetzt. Der Vorfall schlug in der Republik Irland hohe Wellen, hatte doch die kriminelle Unterwelt eine Person aus der wohlhabenden Oberschicht schwer malträtiert. Wenn selbst jemand wie Kevin Lunny vor Gangstergewalt nicht gefeit ist, denn ist es niemand, dürften sich viele erschrockene Iren an jenem Septembermorgen beim Anhören der Radionachrichten am Frühstückstisch oder im Auto gedacht haben. Polizeipräsident Drew Harris sah sich zur Beruhigung des öffentlichen Gemüts noch am selben Tag veranlaßt, die Anwendung aller nötigen Mittel, um die Übeltäter zu fassen, zu verkünden.

Die Entführung Lunnys hängt mit einem Machtkampf um die Kontrolle über die Quinn Industrial Holdings zusammen. Das Unternehmen war von Sean Quinn im Laufe mehrerer Jahrzehnte von einer Kiesgrube zu einem weltweit agierenden Unternehmen ausgebaut worden, zu dem eine Zementfabrik, eine Hotelkette, eine Glasflaschenproduktion sowie eine eigene Versicherungsgesellschaft gehörten. Auf dem Höhepunkt seiner Macht beschäftigte Quinn - inzwischen zum reichsten Mann Irlands aufgestiegen - mehr als 5.500 Menschen, die meisten von ihnen in Cavan sowie in der benachbarten Grafschaft Fermanagh auf der nördlichen Seite der inneririschen Grenze. In der strukturschwachen Region war Quinn der ganz große Held, ein Patriarch mit besten Verbindungen zum örtlichen gälischen Fußball und Hurling, der vielen Menschen auf dem Land die Auswanderung oder den Umzug in die Hauptstadt Dublin erspart hatte.

Die Finanzkrise 2008 ließ Quinns Firmenimperium, besser gesagt Kartenhaus, zusammenbrechen. Als die Anglo-Irish Bank wegen ungedeckter Kredite an Irlands größte Bauherren und Immobilienhaie Konkurs anmelden mußte, geriet auch Quinn unter die Räder. Er hatte rund zweieinhalb Milliarden Euro an illegalen Stützungskäufen von Anglo-Irish-Aktien getätigt, um dem Finanzhaus in der Krise den Schein der Liquidität zu gewähren, wobei Quinn das Geld dafür von der Bank selbst als Leihgabe erhalten hatte. Im Rahmen des Rettungspakets, das die irische Regierung 2009 unter Aufsicht von EU-Kommission, EZB und IWF schnürte, wurden die gigantischen Schulden der Anglo-Irish Bank von rund 30 Milliarden Euro verstaatlicht und das inzwischen weltweit berüchtigte Kreditinstitut aufgelöst. Quinn mußte Konkurs anmelden und landete wegen diverser Verstöße gegen irische und internationale Wirtschaftsgesetze vor Gericht. Dort stilisierte er sich samt seiner Söhne und Töchter, die alle gegen üppige Gehälter im Familienimperium mitgearbeitet hatten, zum unschuldigen Opfer vom Lande, das sich der Intrige einer kosmopolitischen Dubliner Geschäftselite ausgesetzt sieht, und setzte seinerseits alle juristischen Hebel in Bewegung, um seine Firma zurückzubekommen.

Kevin Lunny und andere Mitglieder des Quinn-Managements, die vom Insolvenzverwalter eingesetzt wurden und seit rund zehn Jahren die verschiedenen Teile des Konzerns so gut es geht zu führen und zu retten versuchen, werden in Cavan und Umgebung von der Quinn-Familie als Verräter am Firmengründer diffamiert. Sie, und nicht Sean Quinn, der dem Unternehmen die Katastrophe durch seine hochriskante Kungelei mit Anglo-Irish-Chef Sean Fitzpatrick eingebrockt hatte, werden für die Einschnitte, darunter Entlassungen, verantwortlich gemacht, die sich seitdem als erforderlich erwiesen haben. Zwar hat Sean Quinn jeden Verdacht, er habe mit der "Strafaktion" gegen Lunny auch nur das geringste zu tun, weit von sich gewiesen. Doch das glaubt in Irland nur er selbst - wenn überhaupt.

2021 sollen sich vier Männer - einer aus Cavan, drei aus Dublin - wegen des Vorfalls vor Gericht verantworten. Ihnen wird Freiheitsberaubung, Mißhandlung und schwere Körperverletzung zur Last gelegt. Zwei von ihnen befinden sich in Untersuchungshaft, die anderen beiden sind auf Kaution frei. Am 10. Juni fand vor dem Special Criminal Court in Dublin eine Vorverhandlung statt, bei der bekannt wurde, daß das Tatfahrzeug, in dem Lunny verschleppt worden war und vermutlich seine DNA-Spuren sowie die seiner Peiniger zu finden sein müßten, während der Zeit im Polizeibesitz "ausgebrannt" ist. Richter Tony Hunt hat sich verwundert über den Brand gezeigt, der "versehentlich" passiert sein soll, und eine Klärung des Vorgangs gefordert.

Das Schicksal des Tatfahrzeugs im Entführungsfall Kevin Lunny erinnert zwangsläufig an eine bis heute unaufgeklärte Episode bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit der brutalen Ermordung der Französin Sophie Toscan de Plantier im Dezember 1996 an der Auffahrt zu ihrer Ferienwohnung nahe Scull in West Cork. De Plantiers Mörder hat ihr den Schädel eingeschlagen. Nachweislich hat die örtliche Polizei in Bandon, der nächstgrößten Ortschaft, versucht, dem Journalisten Ian Bailey, der ebenfalls in Scull wohnte und nach dem Mord in der Angelegenheit herumgeschnüffelt hatte, das Gewaltverbrechen anzuhängen, indem sie eine Informantin aus der örtlichen Drogenszene zu der Aussage erpreßte, den Engländer am fraglichen Morgen nahe der Auffahrt zur Wohnung de Plantiers gesehen zu haben.

Die in Dublin erscheinende linke Politikzeitschrift Village hat später die sonderbare Handlungsweise der Polizei von Bandon als Versuch gedeutet, den wahren Mörder zu schützen. Bei ihm soll es sich um einen ehemaligen oder damals noch im Dienst befindlichen Polizisten gehandelt haben, der offenbar zuletzt eine Affäre mit der Französin hatte und inzwischen verstorben ist. Zu einem Mordprozeß im Fall Sophie Toscan de Plantier ist es in Irland nie gekommen - nicht zuletzt, weil die Garda Síochána, so die offizielle gälische Bezeichnung für die irische Polizei, es tatsächlich geschafft hat, das wichtigste Beweistück "zu verlegen". Dabei handelte es sich um ein drei Meter langes und eineinhalb Meter hohes Eisengatter, das mit dem Blut de Plantiers bespritzt war und auf dem sich eventuell auch DNA-Spuren des Täters befunden hatten. Bei Irlands Polizei weiß angeblich niemand, wo das besagte Eisengatter abgeblieben ist oder wer es aus der Asservatenkammer entfernt hat (sofern es jemals dort angekommen ist). Währenddessen droht dem seit mehr als 20 Jahren leidgeprüften Ian Bailey aufgrund eines europäischen Haftbefehls eine Auslieferung an die Justizbehörden in Frankreich und dort eventuell eine Haftstrafe für eine Tat, die er vermutlich nicht begangen hat.

13. Juni 2020


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