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FREE GAZA/184: Flottille für Gaza - Der Franzose, der zum Zeugen wurde (Metro France)


Metro France [1] - 1. Juni 2010

Flottille für Gaza: Der Franzose, der zum Zeugen wurde

Von Alexandra Bogaert, Metrofrance.com


Youcef Benderbal [2], 39 Jahre, vom Komitee für Wohlfahrt und Hilfe für die Palästinenser (CBSP) [3] war an Bord eines der sechs Schiffe der Freiheitsflottille, die am Montag von der israelischen Armee gestürmt wurde. Er ist am Dienstagmittag nach Paris zurückgekehrt und erzählt:

"Angesichts der Not der palästinensischen Bevölkerung gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie handeln oder Sie sehen zu, wie 1,5 Millionen Menschen unter furchtbaren Bedingungen überleben und leiden. Wir vom CBSP beschlossen zu handeln und schickten hundert Fertighäuser aus türkischer Produktion per Schiff nach Gaza. Sie wurden auf den griechischen Frachter geladen.

Ich war auf einem anderen Schiff, einem, auf dem sich etwa 50 Prominente, Pazifisten, humanitäre Helfer und Journalisten des tschechischen, bulgarischen und italienischen Fernsehens befanden.[4] Bei mir waren zudem die CBSP-Verantwortlichen aus Lyon, Lille und Marseille.[5]

Am Montagmorgen ging alles sehr schnell. Wir befanden uns in internationalen Gewässern, dort, wo man niemanden um eine Genehmigung für die Passage ersuchen muß. Die sechs Schiffe der Flottille fuhren dicht neben- und hintereinander. Um etwa 4 Uhr morgens bin ich zur Brücke hoch und habe gesehen, daß das türkische Schiff von einem Hubschrauber aus gestürmt wurde. Ich habe auch Schüsse gehört. Kaum hatte ich den Kopf gewendet, war auch schon ein Israeli an Bord unseres Schiffes geklettert. Der Angriff lief simultan ab. Das Verhalten der Soldaten war sehr aggressiv. Ich habe die Arme gehoben und die Finger gespreizt und zu ihm gesagt: 'Wir sind Pazifisten.' Ich habe die Ratschläge befolgt, die man uns zum gewaltfreien Widerstand gegeben hatte.

Da uns klar war, daß das Risiko bestand, daß die israelische Armee das Schiff entern würde, hatten wir drei Gruppen gebildet: Eine, die sich wie Greenpeace es macht, anketten und mit dem Körper - und nicht mit Messern, Stangen oder anderem - den Eingang zur Brücke schützen würde, auf der sich der Kapitän befand, um zu verhindern, daß die Soldaten dort eindrangen. Eine andere Gruppe sollte mit dem Körper das Betreten des Maschinenraums verhindern. Die letzte Gruppe sollte die Israelis auf friedliche Weise empfangen, um einen Dialog anzubahnen, die Atmosphäre zu entspannen und zu beruhigen.

Am Ende gab es mehrere Verletzte auf meinem Schiff, besonders unter jenen, die den Zugang zur Brücke blockierten. Dem Kapitän haben sie das Ohr kaputtgeschlagen und ihn durchgeprügelt. Er trägt jetzt eine Halskrause.

Ich betone: Niemand auf unserem Schiff hat Waffen benutzt. Alle sind ruhig und besonnen geblieben, mit erhobenen Köpfen. Die Anwendung von Gewalt kam von israelischer Seite mit Knüppeln, Flashball-Pistolen und Elektroschockern.

Man hat das Schiff entführt, uns wegtransportiert, von unserer Mission entfernt und in Ashdod in Israel an Land gebracht. Dort wurden wir alle zusammen einer Identitätskontrolle, Leibesvisitation und dem Verhör unterzogen. Als wären wir Terroristen. Mein Telephon, meine Kamera, mein Photoapparat sind konfisziert worden. Das gleiche gilt für die Journalisten.

Ich bin nach Frankreich zurückgekehrt, aber meine Kollegen befinden sich noch immer in Israel in Haft. [6] Ich fordere die französische Regierung auf, in aller Eile zu handeln und ihre körperliche sowie seelische Gesundheit sicherzustellen und, dafür zu sorgen, daß sie sich alsbald bei ihren Verwandten wieder einfinden, Ich schätze daß, auch wenn die Mission nicht zum Abschluß gebracht werden konnte, das Ziel erreicht ist, denn die Botschaft ist durchgekommen: Es ist unabdinglich, sogar lebenswichtig, die Blockade von Gaza zu brechen. Sogar ein UNO-Verantwortlicher hat sich in diesem Sinne erklärt."


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick

[1] Metro ist eine kostenlose Tageszeitung, die im Februar 1995 erstmals in Stockholm erschien. In Paris und Marseille gibt es sie seit 2002, heute kommt sie in einer Auflage von etwa 736.732 in 11 französischen Städten heraus.
[2] Youcef Benderbal ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim CBSP
[3] Comité de bienfaisance et de secours aux Palestiniens (CBSP), Nichtregierungsorganisation, gegründet im Jahr 1990, widmet sich ausschließlich der Hilfe für palästinensische Menschen in Not - http://cbsp.fr
[4] gemeint ist die "Sfendoni", das Passagierschiff der Europäischen Kampagne zur Beendigung der Gaza-Blockade (European Campaign to End the Siege on Gaza, ECESG) unter griechischer Flagge
[5] insgesamt waren sechs CBSP-Mitglieder auf der Flottille
[6] inzwischen sind alle CBSP-Beteiligten wohlbehalten in Frankreich zurück


URL des französischen Originaltextes:
http://www.metrofrance.com/info/flottille-pour-gaza-le-francais-revenu-temoigne/pjfa!TJQXaprJDUrb1iScPDQqXQ/


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Quelle:
Metro France, 01.06.2010
35 rue Greneta, 75002 Paris
Téléphone: 01 55 34 45 00
E-Mail: metrofrance@gmail.com
Internet: www.metrofrance.com
mit freundlicher Genehmigung von Metro France
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Französischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2010