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FREE GAZA/133: Veterans for Peace Memorial Day-Ansprache (Ross Caputi)


Bewegende Rede zum Memorial Day von Ross Caputi

Vets for Peace (Veteranen für den Frieden) Boston - 1. Juni 2010


Vorwort von Dr. Joseph Gerson, Ph.D., American Friends Service Committee, USA:

Freunde,

Obgleich es mir eine Ehre ist, heute, am Gedenktag der Veteranen für den Frieden, in Boston teilzunehmen, sind meine Gedanken doch bei den Opfern des mörderischen israelischen Angriffs auf die humanitäre Hilfsgüter-Flottille und bei jenen, die im Verlauf des Überfalls gefangengenommen wurden. Freunde waren an Bord dieser Schiffe, und wie viele andere warte ich nun auf die Nachricht, wer davon noch lebt und wen wir verloren haben. Darüber hinaus schicken wir Appelle an Präsident Obama und andere, mit denen wir sagen "genug davon", nein "mehr als genug davon". Es ist höchste Zeit, Israel jede Art von Unterstützung zu versagen, bis es den UN-Resolutionen 242 und 338 Folge leistet und sich aus den Gebieten zurückzieht, die es seit 1967 besetzt hält und seine gewaltsame Blockade aufhebt.

Die heutige Zeremonie des "Veterans for Peace Memorial Day" in Boston war sehr bewegend. Ich war sehr gerührt über die Stellungnahme des Irak-Veteranen Ross Caputi und über die irakischen Flüchtlinge, die jetzt in Massachusetts leben und die sich uns anschlossen, indem sie die Namen ihrer Familienangehörigen und Freunde vorlasen, die während der Invasion und Okkupation durch US-Truppen ums Leben kamen.

Ich schließe mich Ross an, denn seine Stellungnahme ist eine der ehrlichsten und tiefgreifensten, die Sie an diesem Feiertag lesen oder hören werden. Meine Rede, die dem Leben und Vermächtnis von Howard Zinnt, einem Mitglied der Smedly Butler Brigade der Veteranen für den Frieden, gewidmet ist, werde ich unabhängig davon zuschicken.

Arbeitet für Frieden und Gerechtigkeit,
Joseph


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Ross Caputi
Veterans for Peace
Memorial Day 2010
Boston, Massachusetts

Am Memorial Day fühlen sich Veteranen mehr als sonst verpflichtet, die Wahrheit zu berichten und Amerikaner daran zu erinnern, was wir eigentlich nie vergessen sollten. Was ursprünglich einmal ein Tag sein sollte, an dem wir der Männer und Frauen gedenken, die in unseren Kriegen ihr Leben lassen mußten und etwas aus ihrem Tod zu lernen, ist über die Jahre zu einem Tag verkommen, an dem wir die Flaggen schwenken und nicht mehr in Frage stellen, warum sie sterben mußten. An vergangenen Memorial Days haben mich die Leute wie einen Helden gefeiert, obwohl ich nichts Heldenhaftes vollbracht hatte. Und ich schäme mich zu sagen, daß ich mich von ihrem Lob geschmeichelt fühlte. Jeden Handschlag und jedes Danke, das ich als Tribut für meinen Militärdienst empfangen habe, scheint mit Scheinheiligkeit befleckt, weil mir dabei immer klar war, daß sie gar nicht wußten, wofür sie mir dankten. Und darüber hinaus begriff ich, daß dieses Mißverständnis alle Kriege fördert, im Irak und in Afganistan. Und doch tat ich nichts, um sie darüber aufzuklären. Ich fühlte mich wie ein Heuchler, nicht nur wegen der Art, mit der Amerika seiner Veteranen gedenkt oder wegen der Art, wie Amerika es vorzieht, das Leid zu vergessen, das wir im Ausland zu verantworten haben, sondern weil Veteranen wie ich das einfach so zulassen, indem wir vorziehen den Ruhm zu ernten, statt über die Schäden zu berichten, die wir verursacht haben und verhindern, daß den Opfern unserer Kriege Gerechtigkeit widerfährt, jenen unschuldigen Zivilisten, die durch unsere Bomben getötet oder durch unsere Gewalt heimatlos wurden.

Mehr noch setzen wir auch die nächste Generation von Veteranen der gleichen Gefahr aus, da wir ihnen kein realistisches Bild von dem geben, woran sie beteiligt sein werden.

Wenn wir Angehörige betrauern, die dort ihr Leben ließen, scheint es eine natürliches Bedürfnis zu sein, ihrem Tod einen Sinn geben zu wollen. Sinnlose Verluste an Leben können wir schwerer verkraften, und so wiegt die Trauer leichter, wenn wir glauben können, daß sie für etwas sehr Großartiges gestorben sind. Am Memorial Day pflegen wir diesen toten Soldaten und Soldatinnen hochtrabende Ziele zu unterstellen wie Freiheit, Demokratie oder die amerikanische Lebensart. Doch wir sollten diesem drängenden Gefühl widerstehen, dem Tod dieser Gefallenen einen Sinn zu geben, denn indem wir das machen, gedenken wir ihrer nicht, sondern wir machen sie zu Märtyrern und wenden unseren Blick von der schmerzhaften Wahrheit ab.

Wir müssen uns ehrlich fragen, ob sie denn tatsächlich für Freiheit und Demokratie gestorben sind. Ich kann Ihnen sagen, daß zumindest im Fall des Irak, die Anwort traurigerweise "nein" lauten muß. Iraker können jetzt abstimmen, doch das interessiert keinen, weil das, was sich die Iraker am meisten wünschen, das Ende der US-Okkupation ist. Ihre Rufe nach Gerechtigkeit werden hingegen ignoriert. Was sollen freie Wahlen, wenn deine elementarsten Bedürfnisse und Wünsche nur auf taube Ohren der Politiker treffen. Und was nützt eine demokratische Regierung, wenn du jeden Tag befürchten mußt, daß dir eine Bombe auf den Kopf fällt. Ich habe dazu beigetragen die Stadt Falludjah zu zerstören. Ich habe mit dafür gesorgt, daß 300.000 Menschen, die in dieser Stadt lebten, nun Flüchtlinge sind und ich habe geholfen, mehrere hundert Zivilisten umzubringen, die sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen oder nicht dazu in der Lage waren. Das war mein Beitrag zu ihrer Freiheit und ihrer Demokratie und eines Tages werde ich vor Gott dafür Rechenschaft ablegen müssen. Über eine Million Iraker haben ihr Leben in diesem Krieg gelassen, und das Leben jener, die ihn überlebten ist zerstört. Doch was ist mit unserer Freiheit und Demokratie? Sind unsere Freunde, Brüder, Schwestern, Ehepartner und Kinder zumindest dafür gestorben? Ironischerweise wurde unsere Freiheit und Demokratie von unserer eigenen Regierung mit Füßen getreten, als sie uns belogen, um unsere Lieben in den Krieg zu schicken.

Meine Freunde Travis und Brad gingen mit mir in den Irak-Einsatz, aber sie kamen nicht wieder zurück. Ihr Tod war nicht notwendig, noch starben sie aus edlem Grund. Sie starben für die Sünden unserer Regierung, ebenso wie viele Iraker. Das schlimmste, was wir zu ihrem Gedenken tun können, wäre, die Flagge über sie zu drapieren und sie in einem Schrein aus Heldentum zu verschließen. Wenn wir das tun, könnte niemand etwas von ihrem Tod lernen, und die Kriegsmaschine könnte ewig weiterrollen, und dann wäre der Tod meiner Freunde tatsächlich vollkommen umsonst gewesen. Die Wahrheit ist, daß Travis und Brad gute Menschen waren, die viel zu jung gestorben sind und daß wir weder Amerika zu einem sichereren Ort gemacht noch den Irakern geholfen haben. Die Wahrheit ist, daß wir an etwas sehr schrecklichem teilgenommen haben. Die Wahrheit über das zu erzählen, was wir getan haben, ist für diese Toten nicht unehrenhaft.

Howard Zinn hat verstanden, welche Verantwortung auf den Veteranen lastet. Nachdem er als Bombardier im Zweiten Weltkrieg gedient hatte, widmete er sein Leben anderen, um sie über friedlichen Alternativen zum Krieg zu aufzuklären. Er sagte einmal:

"Wir müssen uns dafür entscheiden, nicht in den Krieg zu ziehen, ganz gleich welche Gründe von den Politikern oder den Medien heraufbeschworen werden. Denn ein Krieg in unserer Zeit ist immer unterschiedslos ein Krieg gegen Unschuldige, ein Krieg gegen Kinder."

In seinem Geiste spreche ich heute zu Ihnen. An früheren Memorial Days habe ich mich meiner Verantwortung als Veteran nicht gestellt, doch von jetzt an werde ich alles, was ich vermag tun, um sicherzustellen, daß anderen Amerikanern nicht das gleiche Ende widerfährt, wie meinen Freunden Travis und Brad.


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Quelle:
Vets for Peace Boston, 01.06.2010
Ansprache zum Memorial Day, von Ross Caputi
mit freundlicher Genehmigung des Autors
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2010