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REZENSION/746: Jan Rehmann - Postmoderner Links-Nietzscheanismus (SB)


Jan Rehmann


Postmoderner Links-Nietzscheanismus

Deleuze & Foucault. Eine Dekonstruktion



"Links-Nietzscheanismus" hört sich nicht nur nach einem Oxymoron an, es handelt sich um eine inhaltliche Unvereinbarkeit, über die auch der Bindestrich nicht hinweghilft. Mit dieser Begriffsbildung wird, wenn nicht ohnehin als Provokation gemeint, versucht, einen für seine herrschaftliche Diktion und Ablehnung sozialistischer Gesellschaftsveränderung bekannten Philosophen mit einem politischen Standpunkt zu assoziieren, dessen emanzipatorische Absicht dort ansetzt, wo es gilt, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" [1].

Von vielen geschätzt wegen seiner wortmächtigen Befürwortung einer menschlichen Höherentwicklung, die die Überwindung alles Schwachen und Ohnmächtigen nicht als radikalen Widerstand von unten denkt, sondern als Privileg der Starken und Auserkorenen propagiert, brachte Friedrich Nietzsche bei aller Respektlosigkeit gegenüber tradierten Werten und Konventionen eine ontologisch zementierte Klassenmoral und einen biologistischen Positivismus zum Ausdruck, die in der Anschlussfähigkeit seiner Philosophie für rechte Demagogen und sozialdarwinistische Technokraten widerhallte. Indem Nietzsche ein Großteil der Menschen von vornherein für die von ihm projektierte Höherentwicklung als nicht geeignet erachtete, musste ihm jeder humanistische Universalismus und sozialistische Egalitätsgedanke nicht nur fremd, sondern feindlich sein.

Wenn ein bürgerlicher Gelehrter wie Hans Joachim Störig, dessen "Kleine Weltgeschichte der Philosophie" seit Erstauflage 1950 eine Million Mal gedruckt und in sechs Sprachen übersetzt wurde, Nietzsche in durchaus zugewandter Absicht unter anderem als "antidemokratisch", "antisozialistisch", "antifeministisch" und "antiintellektualistisch" [2] charakterisiert, dann kann es nicht erstaunen, dass die Eingemeindung des deutschen Philosophen in die Traditionslinien und Neuformierungen linker Theoriebildung stets von heftiger Kritik begleitet war. So hat Detlef Hartmann 2001 in dem Text "Der rechte Nietzsche im Bauch eines linken trojanischen Pferds" [3] den herrschaftsapologetischen Tenor der Aneignung Nietzsches durch linke Vordenker wie Thomas Seibert herausgearbeitet, wobei er Michel Foucault ausdrücklich gegen den Vorwurf, ein Anhänger Nietzsches und Protagonist seiner linken Aneignung zu sein, verteidigt. Gerhard Hanloser und Karl Reitter fungierten 2006 in der Zeitschrift Grundrisse als Konterpart zu der von Stefan Nowotny und Gerald Raunig vorgeschlagenen "kritisch-produktiven Nietzsche-Aneignung in poststrukturalistischer Manier" [4].

2020 wiederum wurde in dem Buch "Links-Nietzscheanismus" des Philosophen Paul Stephan versucht, das Denken Nietzsches für eine Linke fruchtbar zu machen, die laut Verlagsankündigung "Ganze Generationen anarchistischer, kommunistischer, sozialdemokratischer, antifaschistischer, feministischer und sonst wie linker Intellektueller, Künstler und Aktivisten" umfasst, die den deutschen Philosophen stets als "einen der ihren betrachtet" hätten [5]. Die Neuauflage der 2004 im Argument-Verlag veröffentlichten Habilitationsschrift des Philosophen und Sozialwissenschaftlers Jan Rehmann, die nun in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage vorliegt, wiederum nimmt eine dezidierte Gegenposition zur linken Aneignung des "Philosophen mit dem Hammer", so die häufig verwendete, dem Untertitel des Werkes "Götzendämmerung" entlehnte Bezeichnung Nietzsches, ein.

Rehmann verweist schon mit dem Titel "Postmoderner Links-Nietzscheanismus. Deleuze & Foucault. Eine Dekonstruktion" darauf, dass er die Vordenker des poststrukturalistischen Paradigmenwechsels in Frankreich in den Mittelpunkt des Anliegens stellt, die Erkenntnisse Nietzsches für eine linke Gesellschaftstheorie in Gebrauch zu nehmen, die aus dem Scheitern des Aufstandes im Mai 1968 die defensive Konsequenz zog, "sich aus auswegslosen linksradikalen Praxisformen zurückzuziehen, ohne das radikale Selbstverständnis preisgeben zu müssen" (S. 10). Während Rehmann auf die militante Radikalisierung linksradikaler Fraktionen wie die RAF in Deutschland, die Brigate Rosse in Italien oder die Action directe in Frankreich als finalen Fluchtpunkt gescheiterter Aufbrüche nicht weiter eingeht, weist er den Kompromiss aus den gleichen Quellen revolutionärer Radikalisierung schöpfender Intellektueller mit der Staatsgewalt als "widersprüchliche Ästhetisierung des Politischen, die nach links wie nach rechts ausschlagen kann" (S. 10), aus.

Was als "Befreiung gegenüber Determinismus und Klassenreduktionismus" (S. 11) für die Überwindung der Herrschaft des Menschen über den Menschen hätte produktiv gemacht werden können, läuft in den von Rehmann ausgemachten Entwicklungslinien postmoderner Uminterpretation des nietzscheschen Begriffsarsenals auf subversive Formen des linken Aktivismus hinaus, deren Kämpfe gegen Sexismus und Patriachat, gegen Rassismus, Kolonialismus und Nationalchauvinismus maßgeblich von postmodernen PhilosphInnen wie Gilles Deleuze, Michel Foucault, Jacques Derrida und Judith Butler beeinflusst sind. Dabei auf antikapitalistische Praxis und Kritik zu verzichten, weil dies ein Mindestmaß an marxistisch geprägter Analyse gesellschaftlicher Verwertungsformen und Tauschlogiken erforderte, ergibt sich wiederum aus den Transformationsimpulsen einer Postmoderne, "absolute Werte, metaphysische Grundlagen und selbst-identische Subjekte" (S. 12) in die Formlosigkeit bloßer Textualität zu entlassen.

Was historisch aus der Opposition der radikalen Linken Frankreichs nicht nur gegen kapitalistische Herrschaft, sondern in wachsendem Maße gegen stalinistische Willkür bis hin zur generellen Entsorgung marxistisch-leninistischer Revolutionsdoktrin als elitäre Bevormundung der Massen und aggressive Ausschaltung sozialrevolutionärer Alternativen resultierte, vollzog spätestens nach dem Ende der von der Sowjetunion dominierten realsozialistischen Staatenwelt die Kehre zu einer affirmativen Form von Teilhaberschaft an staatlicher Handlungsgewalt, die in der Befürwortung imperialistischer Kriege durch postmoderne Philosophen wie Bernard Henri Lévy, Alain Finkielkraut oder André Glucksmann ihren deutlichsten Ausdruck fand.

Die geistesgeschichtlichen und epistomologischen Grundlagen der Transformation herrschaftskritischer Positionen zu systemopportuner Affirmation staatlicher Handlungsgewalt arbeitet Rehmann mit einer philologischen Gründlichkeit - die Primärliteratur wurde im französischen Original gelesen, zentrale Begriffe werden in ihrer Etymologie verankert - heraus, die dem Lesepublikum umfassende Einblicke in die Begriffsgeschichte die geistes- und sozialwissenschaftliche Welt seit den 1970er Jahren umtreibender Wissenspostulate gewährt. Wie schon bei der anfangs vorgenommenen Differenzierung der Leitworte Postmoderne und Poststrukturalismus zu erfahren dreht es sich in einer Worte und Sprache als ProduzentInnen der Welterkenntnis a priori setzenden Theorie dennoch um Wahrheitsdebatten, deren Eskamotierung durch die Aufkündigung jeglicher Gültigkeit für wahr gehaltener Positionierungen nicht verhindern kann, dass auch die postmoderne Sprachkultur von hegemonialen Ansprüchen durchsetzt ist.

Das zu behaupten ergibt sich weniger aus semantischen Reflexionen als der nicht wirklich in Frage gestellten Verfasstheit des Menschen als neoliberales Konkurrenzsubjekt. Obwohl die postmoderne Philosophie die Individuation des Menschen zu bloßen Partikeln disparater Denk- und Verhaltensweisen an die Stelle einer Subjektqualität stellt, die rationales Handeln und autonome Selbstbestimmung zumindest möglich macht, werden ihre programmatischen Auffassungen im Rahmen linker emanzipatorischer Bewegungen mit einer aggressiven Durchsetzungskraft zur Geltung gebracht, die der aufgekündigten Kollektivität sozialen Widerstands in seiner postmodernen Umwertung als hegemonialer Block akademischer Wissensproduktion und postmodern vergemeinschaftetes Interesse an Deutungshoheit wiederum ähnlich wird.

Dem von der Wortmächtigkeit und Denkleistung Nietzsches beeindruckten Publikum versichert der Autor, dass sich seine Argumentation "keineswegs gegen das Anliegen" richte, "sich vom Scharfsinn der nietzscheschen Intuitionen anregen zu lassen, sondern gegen den Konformismus, ihn als symbolisches Kapital einzusetzen, ohne seine 'hierarchische Obsession' aufzudecken" (S. 23). Deren Übersetzung auf den von Nietzsches analytischer Schärfe inspirierten Poststrukturalismus mündet allerdings in nichts Geringeres als das Vorhaben, das Instrument dialektischer Analyse und Kritik durch den horizontal entuferten Begriff der Differenz abzulösen, den Ideologiebegriff zugunsten des Diskurses "als zentrale Instanz des gesellschaftlichen Lebens" abzulösen, in die "Ablehnung einer linearen Geschichtsauffassung" und die "Kritik des autonomen 'Subjekts' und seiner universalistischen 'Wahrheit'" (S. 14).

Da der emanzipatorische Gehalt der Überwindung dogmatischer, im politischen Ereignishorizont schlussendlich Gewaltanwendung provozierender "Wahrheiten", der vermeintlichen Autonomie einer Individuation, die von der Einbindung jedes Menschen in soziale Interdependenzen und gesellschaftliche Naturverhältnisse nichts wissen will, und eines Menschenrechtsuniversalismus, der Klassenantagonismen und Kolonialgewalt wegbehauptet, allemal gegeben ist, bedarf die von Rehmann artikulierte Kritik an der Orientierung linker Gesellschaftstheorie auf die Philosophie Friedrich Nietzsches der sorgfältigen Sezierung ihrer Brüche und Passagen.


Gilles Deleuze - Pluralismus mit Gefühl

Dies leistet der am Union Theological Seminary, New York, als Visiting Professor for Critical Theory and Social Analysis sowie als Director of the PhD Program lehrende Autor nach der Übersicht verschaffenden Einleitung in sechs Abteilungen des Buches. Jedem dieser Abschnitte lassen sich Erkenntnisse zur postmodernen Weltaneignung entnehmen, die das angeblich zu Überwindende wiederum in seiner Verbindlichkeit und Streitbarkeit hervortreten lassen. Um so deutlicher tritt die postmoderne Transformationslogik als harmonistischer, materielle Antagonismen wortreich überblendender Entwurf hervor. So in dem Gilles Deleuze gewidmeten Teil 1, in dem die von Nietzsche betriebene Ablösung dialektischer Widerspruchsbearbeitung durch Kategorien der Differenz in die positive Ausformulierung einer Pluralität münden, die sich antitotalitär geriert, in der "Metaphysik gegensatzloser Differenzen" jedoch in die nächsthöhere Ordnung einer inversen Totalität mündet, die dem notwendigen Außen jeder noch so entgrenzten Pluralität geschuldet ist.

Der unausweichliche Widersinn aller Differenz liegt in dem dazu erforderlichen Vergleich zum Zwecke der Unterscheidung wie der Unterscheidung zum Zwecke des Vergleichs. Dieser Aporie ist durch die bloße Einführung kategorialer Gegensatzpaare wie "das Hohe und das Niedrige, das Vornehme und das Gemeine", so Nietzsche in Ablehnung der hegelschen Dialektik, nicht zu entkommen, auch dann nicht, wenn der wertende Charakter dieser Begriffe durch Deleuze mit der Aussage in Abrede gestellt wird, sie "stellen das differentielle Element dar, aus dem der Wert der Werte selbst sich erst ableitet" (S. 34). Das philosophischen Spekulationen vermeintlich fremde gesellschaftliche Interesse erweist sich bei Nietzsche und seinen Adepten immer wieder als gerade das, die Verortung der eigenen Urteilskraft im Gefüge herrschaftlicher Deutungsmacht.

Wie sehr Deleuzes Problem mit dialektischer Widerspruchsbearbeitung in die affirmative Haltung prinzipieller Bejahung und damit einer Flucht aus der Brisanz sozialer Kämpfe mündet, dokumentiert Rehmann mit einem Zitat aus dessen Buch "Nietzsche und die Philosophie":

Das "Ja" Nietzsches opponiert dem "Nein der Dialektik; die Bejahung der dialektischen Verneinung; die Differenz dem dialektischen Widerspruch; die Freude, der Genuss der dialektischen Arbeit; die Leichtigkeit, der Tanz der dialektischen Schwere; die schöne Unverantwortlichkeit (belle irresponsabilité) den dialektischen Verantwortlichkeiten. Das empirische Gefühl der Differenz, kurz die Rangfolge (hiérarchie), ist der wesentliche, wirksamere und tiefgründigere Antrieb des Begriffs als jedes Denken des Widerspruchs.
(S. 50 f)

Rehmann mutet die Anti-Dialektik Deleuzes als Inszenierung einer Spaßgesellschaft an, die auf Dichotomien basiert, "die auch Nietzsches philosophische 'Produktionsweise' bis zur Karikatur verflachen", habe dieser doch sein fatalistisches "Ja" verzweifelt "der Krankheit und dem Pessimismus abgetrotzt", ja, so Nietzsche in Ecce Homo, "jenem langen langsamen Schmerz, in dem wir gleichsam wie mit grünem Holz verbrannt werden" (S. 51). In der verworfenen dialektischen Wirklichkeitsaneignung liegt auf der Hand, "dass Nietzsches Affirmation von ihrem Gegenteil durchdrungen ist" und zudem "der Herrenlinie einer antiken Sklavenhaltergesellschaft" geschuldet ist, "bei der die Arbeit als menschenunwürdig gilt und die Philosophie auf der Muße der Kontemplation beruht" (S. 51).

Folgerichtig belegt Rehmann den damit in Frage gestellten Gleichheitsanspruch mit der von Deleuze vorgenommenen Herleitung des Differenz-Begriffs aus einem von Nietzsche in Zur Genealogie der Moral postulierten "Pathos der Vornehmheit und Distanz", den dieser als Ursprung des Gegensatzpaares gut-schlecht und "Grundgefühl" einer "höheren herrschenden Art im Verhältnis zu einer niederen Art, zu einem 'Unten'" verstanden wissen will. Nietzsches Argument, dieser Gegensatz sei nicht moralisch-wertender Art, sondern "ständisch" begründet, kann auch deshalb nicht überzeugen, weil "gut" und "schlecht" gerade auch in dem von ihm ausgewiesenen Sinne eine elementare Dichotomie des Sozialen begründen. Dies belegt zudem die etymologische Untersuchung Nietzsches, bei der der Philosoph erklärt, dass dieser Pathos dazu geführt habe, "sich das Recht, Werthe zu schaffen, Namen der Werthe auszuprägen, erst genommen" zu haben.

So setzt er das, was als "seelisch-vornehm", "seelisch-hochgeartet" und "seelisch-privilegirt" mit dem Guten assoziiert wird, parallel zu allem, was als "gemein", "pöbelhaft" und "niedrig" erachtet schließlich in den Begriff "schlecht" übergeht. Wenn Nietzsche in Zur Genealogie der Moral derart plakative Gegensatzpaare aufmacht, dann keineswegs in lediglich deskriptiver Absicht. Der von ihm vorgenommenen Anerkennung einer gesellschaftlichen Ständeordnung ist die essenzialisierende Absicht, Klassenantagonismen als gegeben und damit nicht veränderbar zu setzen als auch Menschen in einander ausschließende Antipoden einer Ästhetik bewundernswerten Raubes und virulenten Ekels einzuteilen, immanent. Das zeigt sich unter anderem in der emphatischen Bezichtigung all jener, die in seinem Sinne "unten" verortet werden, und der daraus resultierenden Ausbildung einer Herren- und Sklavenmoral.

Gesetzt, dass es wahr wäre, was jetzt jedenfalls als "Wahrheit" geglaubt wird, dass es eben der Sinn aller Cultur sei, aus dem Raubthiere "Mensch" ein zahmes und civilisirtes Thier, ein Hausthier herauszuzüchten, so müsste man unzweifelhaft alle jene Reaktions- und Ressentiments-Instinkte, mit deren Hülfe die vornehmen Geschlechter sammt ihren Idealen schliesslich zu Schanden gemacht und überwältigt worden sind, als die eigentlichen Werkzeuge der Cultur betrachten; womit allerdings noch nicht gesagt wäre, dass deren Träger zugleich auch selber die Cultur darstellten. Vielmehr wäre das Gegentheil nicht nur wahrscheinlich -- nein! es ist heute augenscheinlich! Diese Träger der niederdrückenden und vergeltungslüsternen Instinkte, die Nachkommen alles europäischen und nicht europäischen Sklaventhums, aller vorarischen Bevölkerung in Sonderheit -- sie stellen den Rückgang der Menschheit dar! Diese "Werkzeuge der Cultur" sind eine Schande des Menschen, und eher ein Verdacht, ein Gegenargument gegen "Cultur" überhaupt! Man mag im besten Rechte sein, wenn man vor der blonden Bestie auf dem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut ist: aber wer möchte nicht hundertmal lieber sich fürchten, wenn er zugleich bewundern darf, als sich nicht fürchten, aber dabei den ekelhaften Anblick des Missrathenen, Verkleinerten, Verkümmerten, Vergifteten nicht mehr los werden können? [6]

Die Nähe dieser Worte zu eugenischer Reinheitsdoktrin allein wirft die Frage auf, warum dieser Philosoph, der in rassistischer und patriarchaler Manier aus seiner Bewunderung des "Raubtiers, die prachtvolle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie", wie seiner Verachtung gegenüber "den schmutzigen Weibern des niederen Volkes" kein Hehl macht (53), für linke Theoriebildung in Frage kommen soll. Selbst wenn derartige Zitate niemals für das ganze Werk dieses Denkers stehen können, so reichen doch in anderen Fällen geringfügigere Repräsentationen herrschaftsförmiger Einstellungen dazu aus, sich damit hervorgetane AktivistInnen oder AutorInnen aus dem Kreis linker Konsensbildung auszugrenzen.

Attraktiv für eine Linke, die sich an den herrschenden Gewaltverhältnissen verbrannt hat und die Spannung nicht mehr aushalten will, die eine dialektische Gegensatz- und Widerspruchsanalyse erzeugt, wenn die sozialen und materiellen Verhältnisse, aus denen sie hervortritt, sich als veränderungsresistent erweisen, scheint das große "Ja" zu sein, das Deleuze der von Marx auf die Füße gesellschaftlicher Kämpfe gestellten Dialektik Hegels entgegenstellt. Das große Gefühl der Entlastung nach gelungener Übereinkunft, sich harmonischen Lösungen nicht weiter zu verweigern, nimmt in der "Leichtigkeit", mit der Deleuze die "dialektische Schwere" konterkariert, die emphatische Gestalt einer Werbung für ein besonders luftiges Konsumerlebnis an. Der dazu angeführte "Tanz" kann das Abheben zum Flug, das Versprechen, der Gravitation entkommen zu können, allerdings nur für jene Augenblicke euphorisch überhöhen, die den unausweichlichen Aufprall auf dem Boden und dessen Konsequenz, die Rückkehr allen Himmelsstrebens in die physikalischen Aggregate bioorganischer Wechselverhältnisse, vergessen machen. Das Abstoßen und Aufprallen stofflicher Wuchten bedarf des Vergessens der Wiederholung und der Wiederholung des Vergessens schon deshalb, um inmitten dieser Vergeblichkeit Antworten und Lösungen generieren zu können, die an die Stelle eines Streites treten, den überhaupt zu beginnen das kategorische Nein am Anfang steht.

"Deleuze verkennt, dass durch die Dialektik selbst ein Riss geht, der letztlich mit gegensätzlichen Funktionsbestimmungen in Herrschaftsordnungen zusammenhängt" (S. 41), erklärt Rehmann unter Verweis auf Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht und Walter Benjamin, die einer mit dialektischer Methodik geschärften Kritikfähigkeit das Wort redeten. Wie sonst können menschliches Erkenntnisstreben und eine Welt voller Gewalt und Zerstörung in ein Verhältnis treten, das nicht von fatalistischer Ergebenheit und Anerkennung notwendiger Grausamkeit zur Sicherung eigenen Überlebens bestimmt ist, als dem Mittel perspektivischer Harmonisierung aller Widersprüche und dem daraus geschöpften Versprechen darauf, dem Dilemma irgendwie entkommen zu können, den Abschied zu geben? Das Dilemma, vor dem entweder-oder zu stehen und sich nicht entscheiden zu können, wird durch die Strategie affirmativer Gutheißung all dessen, was andernfalls Probleme und Schmerzen bereitete, erst in die Welt gesetzt. Das Ja wird niemals ausreichen, um den Riss zu kitten, aus dem Fragen hervortreten, auf die es keine Antwort gibt.

Jan Rehmanns Kritik am Linksnietzscheanismus deleuzescher Prägung hat nach ausführlicher Analyse der Gleichsetzung des "Willens zur Macht" bei Nietzsche mit dem Begriff des Handlungsvermögens bei Spinoza, der er entgegenhält, "dass hier unter dem Deckmantel sprachlicher Äquivokationen entgegengesetzte Bedeutungen zusammengeworfen werden" (S. 24), die Diagnose eines so tief klaffenden wie unerkannt bleibenden Bruches zwischen "der Sprache radikalster Befreiung" und "dem entgegengesetzten Standpunkt naturalisierter Herrschaft" (S. 89) zum Ergebnis.

Was als Befreiungsperspektive verkündet wird, liest sich wie ein neoliberales Flexibilisierungsprogramm, das darauf abzielt, die letzten "Territorien" der Natur, der Gesellschaft und der Subjektivität abzuräumen. Entlang der anempfohlenen "Fluchtlinien" des Begehrens lassen sich die "dezentrierten" Subjekte von der digitalisierten Warenästhetik und Illusionsindustrie leicht auseinanderjagen und vereinzeln. Nietzsches Geschenke sind nicht ungefährlicher geworden.
(S. 91)


Michel Foucault - wie weit reichen die Impulse Nietzsches?

Das Bekenntnis des französischen Philosophen und Sozialhistorikers Michel Foucault, dessen Einfluss auf linke Theoriebildung bis heute kaum hoch genug einzustufen ist, zum Denken Friedrich Nietzsches stehe in den damit befassten Wissenschaften zwar außer Frage, so Rehmann, aber diese exakt zu bestimmen werfe das Problem auf, dass eine an den Schriften Foucaults orientierte historisch-kritische Untersuchung im postmodernen Leseverständnis weitgehend der "flexiblen Verwendbarkeit" (S. 27) seiner Texte gewichen sei. Was daraus, "dass man inmitten einer sich als radikal verstehenden Macht- und Subjektkritik immer wieder auf einen Philosophen verwiesen wird, dessen anti-metaphysisches Denken v.a. in seiner Spätphase mit der radikalsten Macht- und Herrschaftsbegeisterung verbunden ist, und dessen protofaschistische und faschistische Wirksamkeit als Tatbestand, d.h. zunächst unabhängig von den vielfältigen Debatten um 'Missbrauch' oder 'Missverständnisse' seiner Philosophie, außer Frage steht" (S. 25), für Schlussfolgerungen zur Einordnung Nietzsches in den Kanon linker VordenkerInnen zu ziehen sind, beantwortet sich im Falle des vorliegenden Buches schlicht darin, dass sein Verfasser diesen offenliegenden Widerspruch mit aller erdenklichen Mühe bis in seine feinsten ideengeschichtlichen und exegetischen Verwinklungen untersucht und an der Unverbrüchlichkeit emanzipatorischer Anliegen bemisst.

Dabei neigt Rehmann bei so entscheidenden Fragen wie dem Verhältnis Nietzsches zum Judentum, dem er einen eigenen Exkurs widmet, oder dessen Indienstnahme durch den NS-Faschismus zu einer eher vorsichtigen, plakative Zuschreibungen durch gründliche Arbeit am Text ersetzenden Herangehensweise. Um so bedeutungsschwerer für die Einschätzung der ideologischen Triebkräfte heutiger Rechtsentwicklung ist die Schilderung des Zusammenhangs zwischen "Nietzsches Antimetaphysik sowie der Kritik universalistischer Ideologien und Wahrheitsansprüche, die einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die Postmoderne darstellen," und der aus ihrer "faschistischen Umarbeitung" resultierenden Wirkung, "die normativen Hemmschwellen gegen Krieg und Völkermord wegzusprengen" (S. 26). Selbst wenn der durch legalistische Instrumentalisierung, konsensstrategischen Missbrauch und sozialdarwinistische Sachzwanglogik zerrüttete Restbestand an universalem Menschenrecht und Gleichheitsgebot kaum noch über einen apellatorischen Anspruch hinauskommt, so schafft dieser Wertehorizont doch zumindest die Möglichkeit, die herrschenden Verhältnisse an ihrem Anspruch zu messen und sie mit einem progressiven Gegenentwurf herauszufordern.

Paradoxerweise hat die von Nietzsche unter das "Gute" subsumierte Verachtung alles Schwachen und Elenden heute eine nur scheinbar ironisierende, tatsächlich aber genau so gemeinte Umwertung bei der polemischen Verwendung des Begriffs "Gutmensch" erfahren, mit dem all diejenigen von rechts her denunziert werden, die sich noch für den Schutz von Minderheiten und die Aufnahme von Flüchtenden einsetzen. Dieser Verfall basalen menschlichen Gewährens von Schutz und Solidarität ist auch unter sich links verortenden Menschen anlässlich einer Kritik des Werteuniversalismus anzutreffen, die dessen Instrumentalisierung etwa durch die Kriegführung des humanitären Interventionismus mit der Aufkündigung jeglichen Anspruchs auf universelle Gleichheit und Gerechtigkeit in eins setzen.

An dieser Entwicklung hat die postmoderne Subjektkritik und Aberkennung universaler Gültigkeiten zugunsten der Unbestimmtheit in alle Richtungen entgrenzter Diskurslogiken einigen Anteil. Wie dies im einzelnen begründet und legitimiert wird, kann den weiteren fünf Teilen des Buches, die in erster Linie die verschiedenen Entwicklungsphasen der Theoriebildungen Foucaults zum Gegenstand haben, entnommen werden. Dieser hat insbesondere mit den Bänden "Wahnsinn und Gesellschaft" (1961) und "Überwachen und Strafen" (1975) großen Einfluss auf die theoretische Grundlegung antipsychiatrischer und medizinkritischer Bewegungen, auf linke Antirepressionsarbeit und Antidiskriminierungspolitik in den Geschlechterverhältnissen genommen. So sehr diese verdienstvolle Arbeit wertzuschätzen ist, so wirft die von Rehmann herausgearbeitete Frontstellung Foucaults gegenüber Marx nicht nur als politischer Ökonom, sondern auch als Quelle der Inspiration emanzipatorischer und revolutionärer Bewegungen die Frage nach dem politischen Standort des Pariser Philosophen insbesondere in dessen Spätphase auf.

Worin die antikommunistische Orientierung Foucaults unter anderem wurzelt, schildert Rehmann anhand des Prozesses, in dem der Diskurs an die Stelle einer Ideologiekritik gesetzt wird, die konkrete Positionen im Feld gesellschaftlicher Kämpfe voraussetzt. Im Ergebnis der daraus hervorgehenden Aufkündigung der Vorstellung eines linearen Geschichtsverlaufes, wie etwa im von Marx geprägten Verständnis den gesellschaftlichen Fortschritt antreibender Klassenkämpfe, wurde schließlich das Paradigma einer determinierenden Sozialstruktur von einem Machtbegriff abgelöst, der sich potentiell in unendlich viele Einzelteile auflöst und mehr als bloße Eigenschaft sozialer Relationen verstanden wird denn als hierarchisch und hegemonial verortbare Antagonismen. Was als Kritik an der simplifizierenden Betrachtung personifizierter, staatszentrierter oder identitärer Gegensätze einen präziseren Zugriff auf die konstitutiven Machtverhältnisse verspricht und in der Absicht, "die Konstruktionen konsensförmiger Normen und Werte ideologie- und machttheoretisch hinsichtlich der ihr zugrundeliegenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu analysieren" (S. 154), weiterführen sollte, stößt an die Grenzen der Kritik gesellschaftlicher Machtverhältnisse, wenn Macht bei Foucault dadurch "produktiv" gemacht wird, dass sie "nicht ausschließt, unterdrückt oder verschleiert, sondern die Gegenstands- und Wissensbereiche (wie z.B. des 'Menschen' oder der 'Sexualität') sowie die entsprechenden Subjekte und deren Haltungen erst hervorbringt" (S. 156).

Rehmann führt dies darauf zurück, dass Foucault seinen Machtbegriff bei Nietzsche entlehnt hat, "insofern dieser seinen 'Willen zur Macht' als einzige und omnipräsente Produktivkraft in Natur, Individuum und Gesellschaft konzipierte" (S. 157). Was bei Foucault die Funktion einer essenzialistischen Einschreibung in die Vielfalt sozialer und gesellschaftlicher Mikrostrukturen annimmt, enthebt linke Gesellschaftskritik der Notwendigkeit, unsichtbar gemachte und gar nicht erst in Erscheinung getretene Herrschaftsimperative beim Namen zu nennen und anzugreifen. Was als Machtfrage von unten aufgeworfen werden kann, wenn das Ausmaß politischer und ökonomischer Gewalt existenziell bedrohliche Formen annimmt, kann denn auch über die notwendige Kritik marxorthodoxer Dogmatik und parteipolitischer Konformität hinaus mit dem Verdacht eines kontraproduktiven Aktionismusses belegt werden, was als Abkehr von der Machbarkeit sozialen Widerstandes vor allem berufständisches Interesse und bourgeoises Distinktionsstreben zu reflektieren scheint.

Diese Polarisierung in Hinsicht auf die Frage verlorengegangener linker Wirkungsmacht untersuchen zu können kann ein wertvolles Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Wirken Foucaults und seiner Anleihen an die herrschaftlichen Ambitionen Nietzsches sein. Auch im weiteren Verlauf des Werkes Jan Rehmann gibt zu innerlinken Kontroversen Anlass gebendes zu lesen, so unter anderem eine kritische Relektüre von "Überwachen und Strafen", eine umfassende Abhandlung der Ausführungen Foucaults zu Biopolitik, Biomacht und Neoliberalismus sowie "Drei Thesen zur Re-Interpretation der 'Gouvernementalitäts-Studien'" (S. 322).

Auf dem intellektuellen Niveau eines sozial- und geisteswissenschaftlichen Fachbuches verfasst empfiehlt sich die Lektüre des Buches Postmoderner Links-Nietzscheanismus dennoch allen Menschen, die wie der Autor dieser Zeilen über keine akademische Vorbildung verfügen. Das schon deshalb, weil die ideengeschichtlichen und philologischen Tiefenbohrungen, mit denen Jan Rehmann die Quellen postmoderner Inspiration offenlegt, wichtige Erkenntnisse zum Zustandekommen oft undurchschaut bleibender herrschaftsaffiner Deutungsmacht in linken Bewegungen und aktivistischen Gruppen ermöglichen. Das zudem, weil ungenügendes Wissen über die Gegengeschichte sozialrevolutionärer Aufbrüche und sozialer Kämpfe ein wesentlicher Hemmschuh in der Formierung einer linken außerparlamentarischen Opposition ist, die auf der Höhe heutiger Kriseneskalation wirksam werden will. Das aber auch im Kontext einer progressiven Ermächtigungsrhetorik, deren gesellschaftsveränderndes Potential unerschlossen bleibt oder in Regression umzuschlagen droht, wenn die Frage der Befreiung nicht mit jener autonomen Subjektivität aufgeworfen wird, die für nichtexistent zu erklären die vielleicht wichtigste Konstante postmoderner und poststrukturalistischer Theoriebildung ist.

Fußnoten:

[1] Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie,
Einleitung

[2] Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie, 17. Auflage 1999, S. 605

[3] http://www.materialien.org/texte/hartmann/SEIBER.html

[4] http://www.grundrisse.net/grundrisse19/grundrisse_19.htm

[5] http://www.schmetterling-verlag.de/page-5_isbn-3-89657-089-7.htm

[6] Zur Genealogie der Moral. Erste Abhandlung: "Gut und Böse", "Gut und Schlecht", Aph 11
http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/GM-I-4

6. September 2021

Jan Rehmann
Postmoderner Links-Nietzscheanismus.
Deleuze & Foucault. Eine Dekonstruktion
Aktualisierte und erweiterte Neuauflage
Mangroven Verlag, Kassel, 2021
358 Seiten
24,00 Euro
ISBN: 97839469446175


veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 167 vom 11. September 2021


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