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REZENSION/728: Gerhard Feldbauer - Mussolini und kein Ende? (SB)


Gerhard Feldbauer


Mussolini und kein Ende?

Die Saat ist fruchtbar noch



Gängiger Lesart zufolge ist der Faschismus ein reißender Wolf, der in die friedliebende Herde der bürgerlichen Gesellschaft einbricht, um unter ihr zu wüten. Zu einem ihr wesensfremden extremistischen Randphänomen oder gar zur finstersten, aber erfolgreich bewältigten Epoche der Vergangenheit erklärt, gilt er nicht nur als entsorgt, sondern taugt überdies allemal, das Hohe Lied der herrschenden Verhältnisse zu singen. Die Mahnung, es gelte aus der Geschichte zu lernen, mündet so in die Verteidigung des Staates und seines Gewaltmonopols wie auch der kapitalistischen Eigentumsordnung und Produktionsverhältnisse. Wird hingegen der Nachweis geführt, daß der Faschismus Fleisch vom Fleische dieser gesellschaftlichen Verhältnisse ist, deren einflußreichste Kreise ihn als Instrument der Krisenbewältigung im Köcher halten oder sich seiner bedienen, öffnet dies den Blick für die Gefahrenlage und identifiziert die grundsätzlichen Widersprüche der Klassengesellschaft als Quelle des Verhängnisses wie auch Schlüssel zu dessen Überwindung.

Im vorliegenden Buch legt Gerhard Feldbauer dezidiert und schlüssig dar, wie Italien nicht nur zum Mutterland des Faschismus werden konnte, sondern diesen bis in die Gegenwart gesellschaftlich birgt und auf Regierungsebene in Stellung bringt. Dabei ist die nachgewiesene Kette von Benito Mussolini über Silvio Berlusconi zu Matteo Salvini keine bloße Assoziation oder gar unzulässige Verwässerung des Faschismusbegriffs, sondern im Gegenteil eine faktengestützte und quellensichere Untersuchung faschistischer Bewegungen und Parteien, die sich teils unmittelbar auf den "Duce" berufen, teils innovative Strategien der Einflußnahme favorisieren, aber die Grundprinzipien rechter Ideologie, Zielsetzung und Praxis reproduzieren. In Italien, so die Analyse und Warnung des Autors, droht nicht nur eine Wiederkehr des nie von der Bildfläche verschwundenen Faschismus, er hat vielmehr längst wieder Einzug in Regierungshandeln gehalten. Daß der Autor den Buchtitel "Mussolini und kein Ende?" mit einem Fragezeichen versehen hat, verweist darauf, daß die rechten Kräfte noch nicht wieder auf ganzer Linie das Feld beherrschen, sondern sich mit einem Widerstand konfrontiert sehen, der ihren schubweisen Vormarsch zwischenzeitlich bremst, ohne daß dieser gebannt wäre.

Der heute als freiberuflicher Publizist tätige Journalist Gerhard Feldbauer arbeitete als Auslandskorrespondent für ADN und Neues Deutschland in Hanoi (1967-1973) und Rom (1973-1983). Er promovierte 1972 zur Rolle der vietnamesischen Räte im nationalen Befreiungskampf und habilitierte sich 1981 mit einer Arbeit zum italienischen Faschismus. Als ausgewiesener Experte verbindet er seine langjährige Erfahrung mit wissenschaftlicher Forschung und bezieht nicht zuletzt entschieden Position. Dies zeichnet seine zahlreichen Publikationen in Buchform und Gestalt tagesaktueller Berichte zu maßgeblichen Entwicklungen namentlich in Italien aus. Daraus resultiert eine charakteristische publizistische Handschrift, die, aus der Fülle schöpfend, den Faden des Wesentlichen konsequent und faktisch belegt entwickelt.

Wie der Autor ausführt, war der italienische Faschismus nicht nur der historische Vorläufer rechter Machtübernahme in Europa, sondern lieferte geradezu eine Blaupause für entsprechende Entwicklungen in anderen Ländern, die wesentliche Merkmale dieser ideologischen Offensive bündelt. Um eine Massenbewegung zu schaffen, nahmen die bereits 1915 von Mussolini mitgegründeten Revolutionären Kampfbünde in Erscheinungsbild, Auftreten und propagierten Zielen durchaus Anleihen an die Arbeiterbewegung und Kämpfe der verarmten Landbevölkerung im Süden des Landes. Sie griffen die Leiden und Nöte der Menschen auf, lenkten sie aber weg vom Kampf gegen Industriekapital, Großgrundbesitz, Monarchie und Klerus, indem sie sie auf Nationalismus und Rassismus einschworen. An die Stelle sozialer Klassen und deren Kämpfe sollte der Triumph der "Herrenmenschen" über die "Untermenschen" treten, selbst wenn die realen Lebensverhältnisse dieser Feindbildproduktion Hohn sprachen.

Dieses Vermögen, widerspenstige Bevölkerungsteile einzubinden und befürchtete Aufstände zu neutralisieren, insbesondere aber revolutionäre Bestrebungen und Organisationen zu bekämpfen, bewog führende Akteure aus Kapital, Monarchie und Klerus, auf die faschistische Karte zu setzen und sie massiv zu unterstützen. Die Kampfbünde entfesselten eine chauvinistische Hetze, um den Kriegseintritt Italiens vorzubereiten. In revolutionären Nachkriegskämpfen besetzte die Arbeiterschaft im August/September 1920 alle großen Betriebe in Norditalien, gewählte Fabrikräte übernahmen die Leitung der Produktion und bildeten bewaffnete Rote Garden zur Verteidigung der Unternehmen. Im Süden nahm die Inbesitznahme von Ländereien der Latifundistas teilweise Massencharakter an, so daß die Regierung durch Dekret das Vorgehen der Bauern legalisieren mußte. 1922 hoben daraufhin führende Industrielle und Großagrarier mit Unterstützung monarchistischer Militärs und des Papstes Pius XI. Mussolini an die parlamentarisch verbrämte Macht, 1926 sollte dann der Übergang zur offenen Diktatur folgen.

Zur Repression nach innen gesellte sich der imperialistische Übergriff nach Afrika, wo Italien ein grausames Kolonialregime errichtete. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren Eritrea und Somalia italienische Kolonien geworden, 1925 eroberten italienische Truppen die libysche Großprovinz Tripolitanien, 1929 folgte Fessan und 1930 die Cyrenaika. Die Italiener wüteten in ganz Libyen, 800.000 Nomaden wurden in Konzentrationslager gesperrt, es kam zu Massenerschießungen, Zehntausende Frauen wurden vergewaltigt und es wurde Giftgas eingesetzt. Anfang Oktober 1935 griffen italienische Verbände Abessinien an, und als der Vormarsch der Invasoren am Widerstand der Verteidiger zu scheitern drohte, brachten 350 Tonnen Senfgas den Durchbruch. Im Mai 1936 zogen Badoglios Truppen in Addis Abeba ein und Mussolini triumphierte in Rom, worauf er wenig später Abessinien mit Eritrea und Italienisch-Somaliland zu "Italienisch Ostafrika" vereinigte. In Abessinien war der Widerstand jedoch noch längst nicht besiegt, und so überzog das Kolonialregime die Bevölkerung mit Massakern, Folter, Konzentrationslagern und Giftgas. Dieser Krieg kostete je nach Quelle zwischen 350.000 und 760.000 Tote, mitunter ist sogar von mindestens einer Million Opfern die Rede.

Die italienischen Faschisten spielten eine Vorreiterrolle bei der Installierung des Horthy-Regimes in Ungarn (1920), der Einsetzung der Zankow-Diktatur in Bulgarien (1923) wie auch der Errichtung der Militärdiktatur unter General Carmona de Fragoso in Portugal (1926). Die Putschpläne Francos in Spanien wurden 1936 unter Leitung italienischer und deutscher Militärs ausgearbeitet. Die nachhaltigste Wirkung hatte das italienische Beispiel auf die Formierung des deutschen Faschismus. Führertitel und römischer Gruß, Uniformierung und Sturmabteilungen, Strukturen der Bewegung und Kampfmethoden - vieles fand Anklang bei Hitler, der in Mussolini lange eine große Persönlichkeit sah. Dem deutschen Industrie- und Finanzkapital war nicht entgangen, wie der "Duce" dem italienischen Imperialismus erstmals eine Massenbasis verschaffte, und so stärkte es einer bürgerlichen Partei faschistischen Typs den Rücken, wie sie Hitler aufzubauen begann. Nach dessen Scheitern beim Novemberputsch 1923 folgte eine längerfristige Strategie, die von illegalen Aktionen bis zur scheinbar legalen Machtübergabe reichen sollte. So trug ein Jahrzehnt des Faschismus in Italien maßgeblich dazu bei, die deutschen Faschisten 1933 an die Macht zu bringen. Daß sich das Verhältnis in der Folge umkehrte, der "Duce" den Juniorpartner abgeben mußte und zuletzt zur bloßen Marionette degradiert wurde, war vor allem auf die wirtschaftliche und militärische Überlegenheit des deutschen Imperialismus zurückzuführen, was jedoch nichts am übereinstimmenden Charakter der beiden Diktaturen ändert.

Was in der historischen Rückschau oftmals wie eine Kausalkette geradezu zwangsläufig eintretender Entwicklungen anmuten mag, hätte im Zuge der damaligen Kämpfe natürlich einen ganz anderen Verlauf nehmen können. In der Gemengelage gesellschaftlichen Ringens und zwischenstaatlicher Konflikte stellte der Faschismus als neues Massenphänomen insbesondere die am unmittelbarsten von ihm bedrohten Kommunisten und Sozialisten vor fundamentale ideologische und strategische Fragen. Aus der eingangs hervorgehobenen Einstufung des Faschismus in die Palette der Handlungsoptionen kapitalistisch geprägter Herrschaftssicherung folgt keineswegs, sein besonders aggressives Vernichtungspotential zu unterschätzen. Eben diesem Trugschluß erlag jedoch die Komintern, als sie anfänglich den "Sozialfaschismus" und damit die Sozialdemokratie zum Hauptfeind der kommunistischen Partei und Bewegung erklärte, was vielerorts Bündnisse gegen den tatsächlichen faschistischen Vormarsch verhinderte, bis es dafür zu spät war. Die Kommunistische Partei Italiens (IKP) setzte die Sozialfaschismusdoktrin nicht um, was insbesondere auf die antifaschistische Bündniskonzeption Antonio Gramscis zurückzuführen war. Der 1926 verhaftete und zu 20 Jahren Kerkerhaft verurteilte Mitbegründer der IKP folgerte aus der Massenbasis der Mussolini-Partei, daß die proletarische Revolution vorerst nicht auf der Tagesordnung stehe und der Kampf für den Sozialismus mit der Verteidigung der Demokratie zu verbinden sei. Er entwickelte die These eines "Historischen Blocks", um ein breites Bündnis auch mit bürgerlichen Kräften im Kampf gegen den Faschismus zu schaffen.

Darauf konnte später der IKP-Vorsitzende Palmiro Togliatti aufbauen, der maßgeblich zur Schaffung der Einheitsfront beitrug, die beim Sieg über den einheimischen und deutschen Faschismus in Italien eine herausragende Rolle spielte. Togliatti folgte damit zugleich der Linie Stalins, jegliche revolutionären Ansätze der kommunistischen Parteien zurückzustellen, um so die westlichen Alliierten zur zügigen Errichtung einer zweiten Front gegen Hitler-Deutschland zu bewegen. Die Regierungen in Washington und London planten längst über den Zweiten Weltkrieg hinaus und nahmen die Sowjetunion als künftigen Hauptfeind ins Visier, als diese noch offiziell ihr Verbündeter war und die Hauptlast des Krieges trug.

Die in Sizilien gelandeten US-Streitkräfte rückten nur zögerlich vor, was der deutschen Wehrmacht Raum zur Okkupation eines großen Teils von Italien gab. Auch in der Folge kämpfte die Partisanenarmee, die sich nicht den US-Weisungen unterwarf, weit voraus in vorderster Front und besiegte die deutschen Divisionen wie auch den verbliebenen Faschismus der Salò-Republik nahezu im Alleingang. Dadurch scheiterte das von US-Seite geplante geheime Abkommen mit der Wehrmacht, deren Divisionen aus Italien abzuziehen und gegen die an der Ostfront vorrückende Rote Armee einzusetzen. Ebenso wenig gelang es den Westalliierten, das Wirken der italienischen Kommunisten und Sozialisten zu beschneiden, die im Frühjahr 1945 den Höhepunkt ihres Einflusses erreicht hatten und unmittelbar davor standen, die vorrevolutionäre Situation im Sinne einer gesellschaftlichen Umwälzung zu nutzen.

Warum das nicht geschah, hing mit den Gegenkräften in Kapitalkreisen, reaktionärer Politik und Klerus wie auch der Präsenz der US-Streitkräfte zusammen, nicht zuletzt aber auch den taktischen und strategischen Einschätzungen und Fehlentscheidungen in Fragen von Radikalität und Bündnispolitik, wie man sie wohl als historische Kernfragen linker Bewegungen und Politik ausweisen kann. Die IKP war Motor des breiten antifaschistischen Widerstands gewesen und hatte den bewaffneten Kampf angeführt. In der Endphase des Krieges standen mehr als eine halbe Million Partisanen unter Waffen, wovon drei Viertel Mitglieder der IKP oder deren Sympathisanten waren. Die mitgliederstärkste Partei des Landes verfügte zusammen mit der sozialistischen ISP über eine Massenbasis von etwa 40 Prozent, und in den norditalienischen Städten hatten Kommunisten und Sozialisten noch vor Eintreffen der alliierten Truppen eine revolutionär-demokratische Umgestaltung in Angriff genommen. Nie zuvor und nie danach war der Einfluß potentiell revolutionärer Massenparteien in West- und Südeuropa so weitreichend wie an jener historischen Zäsur.

Unter Führung Togliattis fügten sich auch rebellischere Teile der Partei und Basis der Entwaffnung und Ausrichtung auf den parlamentarischen Weg, so daß bereits im Herbst 1945 die revolutionäre Situation beendet war und die Restauration mit wachsender Wucht einsetzte. Die Machtfrage wurde nicht gestellt, die Massenbewegung blieb ungenutzt, revolutionäre Forderungen versiegten zugunsten des reformistischen Kampfs für demokratische und soziale Verbesserungen. Aus heutiger Sicht nahmen damit Verwässerung und Niedergang der Kommunistischen Partei wie überhaupt der Linken ihren Lauf, auch wenn sich dieser Prozeß noch über Jahrzehnte erstrecken sollte. Togliatti setzte auf den Fortbestand der Einheitsregierung und ein Bündnis mit dem progressiven Flügel der Democrazia Cristiana (DC), wofür die IKP weitreichende Zugeständnisse machte, ohne die erhofften Früchte zu ernten.

Nachdem der Autor Aufstieg und Niederlage des Mussolini-Faschismus in wesentlichen historischen Wegmarken und Entwicklungen dargestellt hat, geht er im umfangreicheren zweiten Teil des Buches auf die Kontinuität des Faschismus in Italien nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Wenngleich eine massiv anwachsende nationale und internationale Phalanx gegen Kommunisten und Sozialisten zu Felde zog, korrespondierte doch auf spezifische Weise der seither erfolgte Wiederaufstieg faschistischer Bewegungen und Parteien mit der zunehmenden Schwächung der traditionellen Linken. Bereits im August 1945 ging die "Front des Mannes auf der Straße" (Uomo Qualunque) an die Öffentlichkeit, die behauptete, gegen links und rechts zu sein, die "korrupte Parteienaristokratie" anprangerte und für die Monarchie eintrat. De facto schürte sie jedoch einen aggressiven Revanchismus und Antikommunismus. Diese Bewegung fand vor allem im Süden, wo die alliierte Militärregierung die alten Machtstrukturen restauriert hatte, zahlreiche Anhänger.

Inspiriert vom ungehinderten Agieren der Uomo Qualunque wagten sich immer mehr alte Mussolini-Faschisten hervor, die sich in diversen regionalen Gruppen organisierten und mit Propaganda, Aktionen und Überfällen in Erscheinung traten. Bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung zog Uomo Qualunque im Juni 1946 mit 5,3 Prozent der Stimmen in das Gremium ein. Diese Bewegung bereitete die Wiedergründung der faschistischen Partei MSI vor, was von der IKP mit Rücksicht auf die Besatzungsmacht und mögliche bürgerliche Bündnispartner nicht entschieden genug bekämpft wurde. Neben den bereits genannten Konzessionen und der Anerkennung der zwischen Mussolini und dem Vatikan geschlossenen Lateranverträge durch die IKP stimmte Togliatti als Justizminister sogar im Juni 1946 der Amnestie der "nationalen Versöhnung" zu, welche die ohnehin begrenzten Säuberungen des öffentlichen Dienstes von Faschisten beendete, von denen viele prompt der im Dezember 1946 gegründeten MSI beitraten.

Zentrales Feindbild des Faschismus bleiben jegliche Bestrebungen, sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung zur Wehr zu setzen, mögen deren Urheber profitgetriebener, patriarchaler oder rassistischer Provenienz sein. Wenngleich sich Faschisten nationalistisch positionieren, hindert sie das nicht zwangsläufig daran, mit ausländischen Akteuren zusammenzuarbeiten, soweit es gegen Kommunisten, andere Linke oder emanzipatorisch eingestellte Akteure geht. So wurden italienische Faschisten in hohem Maße von seiten der USA unterstützt, welche Italien als Südflanke der NATO ebenso für sich reklamierten, wie sie in Griechenland, der Türkei und Chile zugunsten eines Militärputsches intervenierten. Zur Eindämmung des Kommunismus sei jedes Mittel recht, drohte Washington auch Italien mit Intervention und Entzug der Aufbauhilfe nach dem Marshall-Plan. Bürgerliche Politik grenzte Kommunisten und Sozialisten aus, faschistische Kräfte bekämpften sie unmittelbar, wobei oftmals US-Geheimdienste die Fäden zogen.

Für den Fall eines Sieges der "Volksfront" aus IKP und ISP bei den Parlamentswahlen 1948 war eine sofortige militärische Intervention der USA geplant, die im Wahlkampf eine massive Hetzkampagne der Katholischen Kirche finanzierten. Die DC siegte triumphal mit 48,5 Prozent, die Volksfrontliste kam auf 31 Prozent. Da es jedoch nicht gelungen war, die IKP nachhaltig zu schwächen, trat ein in Washington entworfener Plan in Aktion, durch einen Mordanschlag auf Togliatti einen Aufstand zu provozieren, in dem die Kommunisten in einem Blutbad eliminiert werden sollten. Der Vorsitzende überlebte das Attentat am 14. Juli 1948 schwerverletzt, worauf 200.000 Menschen schweigend an der Klinik vorbeizogen, ein spontaner Generalstreik ausbrach, Partisanenverbände ihre Waffen aus den Verstecken holten und in zahlreichen Städten Streikleitungen die Macht übernahmen. Es kam zu Toten und Verletzten, der IKP-Führung gelang es nur mit Mühe, einen Aufstand zu verhindern, was an der Basis durchaus umstritten war, jedoch einen Kriegszustand samt US-Intervention verhinderte.

Die faschistische MSI wurde finanziell von der US-Regierung und US-Konzernen unterstützt, mehrere rechte Putschversuche blieben ohne angemessene juristische Konsequenzen für die Verschwörer, der ehemalige Mussolini-Offizier Gini Birindelli aus der MSI-Leitung stieg sogar zum Admiral und NATO-Befehlshaber der Seestreitkräfte Europa Süd auf. Die innige Verschränkung von US-Diensten mit italienischen Faschisten mündete in den Aufbau der Putschloge P2 und der geheimen NATO-Armee Stay Behind, die in Italien Gladio hieß. P2 führte hochrangige Industrielle, Bankiers, Militärs, Politiker, Juristen, Journalisten und Mafiosi zusammen, sie war in das Mordkomplott gegen Aldo Moro wie auch zahllose Putschversuche, Attentate, Verbrechen und Skandale verwickelt. Gladio stand bereit, im Falle einer Regierungsbildung unter Beteiligung der Kommunisten einen Bürgerkrieg zu entfesseln und hatte bei diversen Operationen wie jener gegen Moro die Finger im Spiel, dessen Zusammenarbeit mit der IKP unterbunden werden sollte.

Unterdessen stieg die MSI zu einer mitgliederstarken Partei mit einer Massenbasis vor allem im Süden auf, die bei den Parlamentswahlen 1972 mit 8,7 Prozent viertstärkste Kraft wurde. 1977 propagierte sie nach dem Modell Pinochet eine "chilenische Lösung" für Italien. Während der Vatikan weiterhin seine schützende Hand über die Faschisten hielt und bürgerliche Parteien wie auch Gerichte ihre Legalisierung betrieben, nahm die Krise der Linken ihren Lauf. Der Autor beschreibt, wie unter Linken Schritt für Schritt revolutionäre Positionen aufgegeben wurden, Reformismus und Opportunismus um sich griffen. Die ISP löste sich von der IKP und bezahlte ihre Regierungsbeteiligung mit der DC mit einem Absturz in der Wählergunst. Die noch immer starke IKP suchte unter Enrico Berlinguer in einem "historischen Kompromiß" das Bündnis mit Aldo Moros neu ausgerichteter DC, dem der Mord an Moro ein Ende bereitete. Nach Berlinguers plötzlichem Tod 1984 gewannen die Reformisten in der IKP endgültig die Oberhand und verwandelten diese unter dem Einfluß des Kurses Gorbatschows schließlich 1991 in die sozialdemokratische Linkspartei PDS, die 1998 in die Sammlungsbewegung Linke Demokraten entuferte, womit der Wirrwarr (ehemals) linker Windungen, Wendungen und Spaltungen allenfalls angedeutet ist.

Das von der DC angeführte Parteiensystem brach 1992/93 als Folge von Korruptionsermittlungen einem Erdrutsch gleich zusammen. Gegen 6000 Politiker wurde ermittelt, Anfang 1993 saßen 1356 Staats- und Parteifunktionäre sowie Wirtschaftsmanager in Haft. Jährlich dürften etwa 10 Milliarden Dollar Schmiergelder gezahlt worden sein, auf Schweizer Konten sollen 30 Milliarden Dollar Bestechungserträge angehäuft worden sein. Im Mittelpunkt der Ermittlungen stand Sozialistenchef Bettino Craxi, der zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, sich jedoch vor Vollstreckung des Urteils nach Tunesien entzog, wo er im Januar 2000 verstarb. ISP und DC gingen nach dieser Affäre unter. Da das rechte Lager befürchtete, die aus der IKP hervorgegangene PDS könne von diesen Verwerfungen profitieren, wurde die P2 aktiv. Nachdem Craxi als neuer "Duce" ausgefallen war, hievte man Silvio Berlusconi an die Macht, der ebenfalls Mitglied des Dreierdirektoriums der Loge war.

Damit begann eine Ära rechtsgerichteter Dominanz, die von einer weitreichenden Kontrolle der Medien geprägt war. Finanziert aus dubiosen Quellen in Kreisen der Logenbrüder baute Berlusconi ein Imperium aus Massenmedien auf. Er erlangte durch den Aufkauf von Sendern praktisch das private Fernsehmonopol, erwarb 40 Prozent der Presseerzeugnisse, zudem Kinos, Musik- und Videoproduktionen wie auch Sportclubs. Am Ende besaß er über 300 Unternehmen, die in der Fininvest-Holding zusammengefaßt wurden. Aus diesem Imperium schuf er 1994 die Partei Forza Italia (FI), die mit der MSI, die sich in Alleanza Nazionale (AN) umbenannte, und der Lega Nord (LN) eine rechtsextreme Wahlallianz bildete. Die FI entstand faktisch innerhalb der Fininvest, die AN gab sich nach außen hin moderat, während sie sich intern zum Erbe Mussolinis bekannte. Berlusconis Mediendiktatur perfektionierte die Demagogie und malte das alte Gespenst der "kommunistischen Gefahr" an die Wand. Nach dem Wahlsieg 1994 bildete Berlusconi die erste Regierung der Nachkriegszeit, an der die faschistische AN und die rassistische LN beteiligt waren. Die Lega Nord unter Umberto Bossi forderte die Abspaltung des reichen Nordens.

Mit Berlusconi übernahm erstmals in einer parlamentarischen Demokratie der mächtigste Kapitalist die Regierung. Er strebte ein Präsidialregime an, um die Machtausübung zu bündeln, nicht zuletzt aber alle strafrechtliche Verfolgung fernzuhalten und die vor dem Bankrott stehende Fininvest zu retten. Seine erste Regierung scheiterte rasch an ihrem sozialen Crash-Kurs, der Massenprotest hervorrief. 1994 behielt ein Mitte-Links-Bündnis nur deshalb knapp die Oberhand, weil die LN den rechten Block verlassen hatte. Als dieser wieder geschlossen agierte, kehrte Berlusconi 2001 an der Spitze einer Rechtsallianz an die Regierung zurück. Um den Widerstand in der Bevölkerung zu befrieden, setzten führende Kapitalfraktionen wahlweise auf die sozialdemokratische PDS und andere moderatere Parteien, so daß es in den folgenden Jahren zu einem ständigen Wechsel der beiden Lager an der Regierung kam.

Die 2007 von Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung trat 2013 als Sammelbecken der enttäuschten Linken auf den Plan, verbalradikal, doch in ihrer Beliebigkeit offen nach rechts. In Koalition mit der nun landesweit auftretende Lega gab sie den Steigbügelhalter Matteo Salvinis, dessen offener Rassismus sich auf das Feindbild der Flüchtlinge fokussiert. Als neuer Anführer der italienischen Rechten hoffte er darüber hinaus zum Leitstern entsprechender Parteien in anderen europäischen Ländern aufzusteigen. Daß Salvini den Bogen vorerst überspannt hat, ändert nichts an dem enormen Potential und Einfluß faschistischer Strömungen im Land, die sich immer wieder neu formieren und ihr Bekenntnis zu Mussolini mit zeitgemäßen Stoßrichtungen verbinden. So wenig der "Duce" als identischer Wiedergänger auferstehen wird, so wenig sind faschistische Ideologie und Präsenz in neuem Gewand gebannt.

Wie Feldbauer, der die Entwicklung in Italien bis zum Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 darlegt, abschließend warnt, liege der faschistische Block in der Addition weiterhin bei knapp 50 Prozent. Das Projekt, den Staat zum Diener des organisierten Kapitalismus zu machen, sei virulent, wobei jedoch die besonderen Formen noch nicht vorhersehbar seien. Daß die Linke sich neu sortiere sei demgegenüber kaum zu erkennen. Eine antikapitalistische Linke existiere nicht, so daß deren Aufbau die vordringlichste Aufgabe bleibe.

15. Dezember 2020


Gerhard Feldbauer
Mussolini und kein Ende?
Die Saat ist fruchtbar noch
PapyRossa Verlag Köln, 2020
192 Seiten
14,90 EUR
ISBN 978-3-89438-746-4


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